"Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

= Blütenpflanzen
Oliver Stöhr
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"Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Oliver Stöhr » Freitag 7. Juli 2017, 21:45

Liebe alle,

hier noch ein kurzer kritischer Beitrag zu bläulich blühenden "Phyteuma spicatum"-Formen, die ich vorgestern in der hochmontanen Stufe im Virgental (Osttirol) am Aufstieg zur Bergersee-Hütte recht zahlreich in lichten Nadelwäldern angetroffen habe. Diese werden in der EFÖLS aufgund ihrer Blütenfarbe als "ssp. coeruleum " gegen die typische weißblühende ssp. spicatum abgetrennt.

Ich setze hier bewusst Phyteuma spicatum und diese Subspecies unter Anführungszeichen, da ich bei den angetroffenen Individuen eher an hybridogene Einflüsse (bzw. Hybridschwärme) glaube und weniger an diese (für mich zweifelhafte) Unterart. Zur Erläuterung: Im Gebiet kommt auch Phyteuma ovatum vor, die sich im Regelfall durch schwarzviolette Blüten von P. spicatum ssp. spicatum unterscheidet. Und jetzt wirds konfus: In der EFÖLS steht bei dieser Art, dass diese in Hochlagen auch gelblich-weiße Kronen haben kann. Diese Anmerkung dürfte noch auf A. Polatschek zurückgehen, der schon bei einer früheren Botanikertagung in Wien diese (seine) Geländeerfahrung angemerkt hat. Nun stellt sich aber die Frage, wie solche weißlich blühenden ovatum-Formen dann von typischem spicatum abzutrennen sind, zumal es außer der Blütenfarbe keine anderen Unterschiedungsmerkmale gibt bzw. mir bekannt sind. Und weiters: Warum sollte es nicht Kreuzungen zwischen ovatum und spicatum geben, die ev. als Resultat die "ssp. coeruleum" darstellen?

Bei den von mir angetoffenen Formen variiert der Blauton von hellblau bis lila (siehe Bilder), was für mich die Hybridthese erhärtet. Habt ihr Erfahrungen mit diesen Formen?

Viele Grüße
Oliver
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Jürgen Baldinger
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Jürgen Baldinger » Montag 10. Juli 2017, 19:49

Käme die bräunlich- bis bläuliche Narbenfarbe bei Deinem Fund somit von ovatum? Bei spicatum subsp. spicatum sind die Narben ja grünlich-weiß. Waren die Grundblätter gefleckt?
"(...) gib ihnen noch zwei südlichere Tage (...)"

Oliver Stöhr
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Oliver Stöhr » Montag 10. Juli 2017, 21:02

Ja, meines Erachtens kommt die (variierende) bläulich-lila Farbgebung von ovatum, von der ich unten noch ein Foto aus dem nahen Umbaltal anhänge. Die Blätter sind durchgehend ungefleckt.

Ich habe inzwischen folgende Internetseite ausfindig gemacht, welche m.E. die gleichen Formen zeigt und diese auch als Hybriden zwischen ovatum und spicatum tituliert: http://www.guidobrusa.info/2014/05/phyt ... vatum.html
Dort werden auch die Grundblätter beider Arten gezeigt, wobei die Hybride in der Blattzähnung und der Form des herzförmigen Blattgrundes eine Mittelstellung zeigt; offenbar unterscheiden sich die beiden Arten doch stärker auch in den Grundblättern, was aber im Schlüssel der EFÖLS so nicht rauskommt (wäre dann was für die nächste Auflage).

Und übrigens soll sich auch Ph. nigrum mit Ph. spicatum kreuzen (Ph. x adulterinum), was ähnliche Blütenfarben ergeben dürfte und ev. tw. die "ssp. coeruleum" von Ph. spicatum in anderen Gebieten erklären könnte ...

Viele Grüße
Oliver
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Hermann Falkner
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Hermann Falkner » Dienstag 11. Juli 2017, 07:33

Hallo Oliver,

zu Phyteuma nigrum und möglicher Kreuzung mit Ph. spicatum:
Im Internet finde ich dazu z. B. Nennung für Winterberg im Sauerland (Nordrhein-Westfalen), wo beide Arten vorkommen; ich bin mir aber nicht sicher, ob es die auch bei uns gibt - denn Phyteuma nigrum ist bei uns auf den nordwestlichsten Teil von Österreich beschränkt - auf die Region, in der ich aufgewachsen bin ;-) - und dort ist Phyteuma spicatum bestenfalls selten, falls überhaupt vorhanden, da bin ich mir nicht sicher.

Phyteuma nigrum kommt jedenfalls im Sauwald und insbes. im westlichen = Oberen Mühlviertel vor (laut Flora im ganzen Mühlviertel + westlichem Waldviertel; im Unteren Mühlviertel und im Waldviertel aber glaub ich seltener); ich kann mich nicht erinnern, dort auch schon Phyteuma spicatum gesehen zu haben - wird es wohl schon geben, gehört aber dort sicher nicht zu den häufigeren Arten, am ehesten noch im Böhmerwald, würde ich vermuten.
Mangels Überschneidung der Vorkommen (oder nur marginaler Überschneidung) könnte die Hybride also in Österreich sehr selten sein, oder auch fehlen.

Die Häufigkeitsangabe in der Flora (für nigrum, versteht sich) ist übrigens "selten", was fürs westliche Mühlviertel noch immer nicht zutrifft - die Art ist dort früher auf Fettwiesen massenhaft aufgetreten, mit dem Einsetzen der Silowirtschaft ist sie aber viel seltener geworden, denn in Wiesen, die 4x oder öfter gemäht werden, verschwindet die Art sehr schnell.
Trotzdem ist sie im westlichen Mühlviertel immer noch "zerstreut" zu finden, könnte man sagen, so viele "naturnahere" Standorte gibt es noch.

LG
Hermann

PS - weil viele in diesem Forum Phyteuma nigrum womöglich gar nicht kennen - ein Bild angehängt (vom 24.05.2015, Oberes Mühlviertel, unweit Sarleinsbach, feuchte Fettwiese, ca. 600 msm)
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Oliver Stöhr
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Oliver Stöhr » Dienstag 11. Juli 2017, 10:15

Hallo Hermann,

danke für deine Anmerkungen, die ich mehrheitlich teile.

Auch ich bin in einem Gebiet aufgewachsen, wo Phyteuma nigrum, aber auch Ph. spicatum (wenn auch nicht recht häufig) auftritt, nämlich im Hausruck-Kobernausserwaldgebiet in OÖ.. Ph. spicatum ist dort auf frische, mit Basen versorgten Laubwaldreste beschränkt, Ph. nigrum hingegen auf extensive Mäh- und Feuchtwiesen. Hybriden bzw. bläulich blühende Formen habe ich dort nie gefunden.

Das Mühlviertel kenne ich nur teilweise, aus meiner Erinnerung und dem aktuellen Hörensagen nach ist Ph. nigrum dort auch keinesfalls mehr häufig; auch im Kobernaußerwaldgebiet ist sie schon eine echte Seltenheit, weil - wie du richtig schreibst - die Wiesen mehrheitlich zugegüllt bzw. für diese Art zu oft gemäht werden. Die Art wird sicher in der derzeit von Harald Niklfeld, Luise Schratt-Ehrendorfer, Christian Schröck und mir durchgeführten Neubearbeitung der Roten Liste Österreichs eine höhergradige Rote-Liste-Art werden. Derzeit gilt sie ja als "gefährdet" (Stufe 3), aber vermutlich ist sie nun schon "stark gefährdet" (Stufe 2).

Was die ovatum bei uns in Osttirol anbelangt, so ist auch diese keinesfalls als häufig einzustufen, in der Abundanz quasi ein Pendant zur außeralpinen Ph. nigrum bzw. tw. auch Ph. spicatum. Aber für eine Hybridisierung müssen ja nicht immer alle Elternarten recht häufig sein. Vermutlich ist auch die "ssp. coeruleum" i.d.R. eine Seltenheit (deren Häufigkeit wird ja leider in der EFÖLS nicht angeführt) ...

Beste Grüße
Oliver

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Clemens Pachschwöll
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Clemens Pachschwöll » Dienstag 11. Juli 2017, 13:18

Liebe Leute,
Nachdem bei uns gerade ein Phyteuma-Projekt anläuft, kann ich dazu etwas sagen, siehe auch: https://www.uibk.ac.at/botany/staff/pub ... ter/66.pdf
1. Phyteuma nigrum und spicatum sind morphologisch und genetisch gut geschieden, können aber hybridisieren was man gut an der versch. Blauabstufungen sieht. In Österreich sind solche Hybriden selten, weil sich spicatum und nigrum nur selten treffen (z.B. Mühlviertel), aus Tschechien oder Deutschland aber gut belegt.
http://botany.cz/cs/phyteuma-adulterinum/
2. Phyteuma spicatum und ovatum sind morphologisch und genetisch nicht gut geschieden, was man eh schon länger weiß (Huber 1988). Phylogenetisch bilden sie einen Klade und populationsgenetische Untersuchungen werden gerade gemacht. Wahrscheinlich wären sie besser als Unterarten oder Varietäten einzustufen, was für die meisten Leute aufgrund der Farbunterschiede schwer zu glauben ist, aber alle andere Merkmale nicht gut, nicht stabil sind. Belege von Hybridpopulationen aus den Alpen habe ich schon viele gesehen, auch hier wieder mit allen Farbabstufungen. Ob "coeruleum" als Hybridname zulässig ist, hängt von einer Lectotypifikation ab, aber wer braucht schon Hybridnamen, wenn man es mit einer Hybridzone zu tun hat. ;)
Übrigens: auch das Merkmal "Blattflecken" ist nicht stabil und damit nicht als Unterscheidungsmerkmal geeignet, siehe Huber (1988).
3. Himmelblaublütige Populationen gibt es auch abseits der Verbreitungsareale von spicatum und nigrum, nämlich in potentiellen Waldrefugialgebieten in den niederösterreichischen Voralpen und v.a. auf der Balkanhalbinsel von Slowenien bis Montenegro. Leicht bläuliche Individuen dürfte es im ganzen Verbreitungsgebiet von Phyteuma spicatum immer wieder einmal geben. Ob da was dran ist, werden phylogeographische Untersuchungen zeigen!
Verbreitung nigrum: http://www2.biologie.uni-halle.de/bot/a ... t=1&Lang=D
Verbreitung spicatum: http://www2.biologie.uni-halle.de/bot/a ... t=1&Lang=D
Verbreitungs ovatum (sehr mit Vorsicht zu genießen!): http://www2.biologie.uni-halle.de/bot/a ... t=1&Lang=D

Oliver Stöhr
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Oliver Stöhr » Dienstag 11. Juli 2017, 20:54

Lieber Clemens,

vielen Dank für deine Anmerkungen! Noch kurze einige Ergänzungen dazu:

1) Der binäre Name der Hybride aus ovatum mit spicatum ist Ph. x hegetschweileri Brügg.; ich fand diesen Namen heute in der Tirol-Flora von A. Polatschek. Dort ist auch zu lesen, dass in Tirol keine ssp. coeruleum vorkommen soll, dafür aber in Vbg. und N-Tirol diese Hybride (Polatschek listet für dort etliche Nachweise auf). Bemerkenswerterweise gibt Polatschek diese Hybride aber nicht für Osttirol an, obwohl er auch im Virgental mehrfach unterwegs war und diese Formen dort eigentlich nicht zu übersehen sind ...

2) Im Floren-Katalog für Südtirol wird die ssp. coeruleum auch nicht angeführt; bei spicatum steht aber ausdrücklich, dass dort nur die ssp. spicatum auftritt.

3) Die Angaben der ssp. coeruleum für die nö. Voralpen (wo weder nigrum noch ovatum vorkommen) sind mir bekannt. Deshalb habe ich ja in meinem vorigen Posting geschrieben, dass in anderen Gebieten Hybriden mit nigrum nur "tw." die ssp. coeruleum erklären könnten ;-)

Auf jeden Fall ich bin ich schon gespannt, was dazu die Molekulargenetik sagen wird - ich glaube aber nicht an die ssp. coeruleum und schon gar nicht im Unterart-Rang ...

Viele Grüße
Oliver

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Hermann Falkner
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Re: "Phyteuma spicatum ssp. coeruleum" im Virgental

Beitragvon Hermann Falkner » Dienstag 11. Juli 2017, 21:24

Danke euch beiden für die Anmerkungen, sehr interessant - habe einiges über Phyteuma dazugelernt ;-)

Was die Häufigkeit von Phyteuma nigrum im Mühlviertel betrifft - am besten kenne ich das südwestliche Mühlviertel und dort kommt sie zum Glück noch auf einigen Wiesen recht zahlreich vor: wenn eine Wiese "verträglich" bewirtschaftet wird, dann tritt die Art gleich massenhaft auf; Silowiesen sind aber - natürlich - ein "Totalausfall". Die Art hat in den letzten 20, 30 Jahren jedenfalls einen Grossteil seiner Lebensräume durch Silowirtschaft verloren, und so gesehen gehört sie natürlich auf auch die Rote Liste.
Hybriden habe ich selbst wie gesagt noch nicht gesehen, aber ich hätte früher ja auch nicht darauf geachtet - und heute komme ich nur mehr selten ins Mühlviertel und selbst wenn, dann nur fallweise zu einer Wiese, wo es immer noch Phyteuma nigrum gibt.


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