Interview: Dr. Georg Bieringer über die Trockenrasen des Steinfelds

Wie das Kostbare erhalten? Gefährdungen, Schutzmaßnahmen und Interviews
Benutzeravatar
Jürgen Baldinger
Beiträge: 3482
Registriert: Montag 19. September 2016, 19:47
Wohnort: Wien

Interview: Dr. Georg Bieringer über die Trockenrasen des Steinfelds

Beitragvon Jürgen Baldinger » Samstag 3. Dezember 2016, 21:13

Das (Wiener Neustädter) Steinfeld nimmt unter den reliktären Trockenrasen unseres Landes eine Ausnahmestellung ein. Der Verein "Freunde der Perchtoldsdorfer Heide" zitiert unter http://www.perchtoldsdorfer-heide.at/He ... raum.html/ (abgerufen am 03. Dez. 2016) eine Studie des Biosphärenparks Wienerwald aus dem Jahr 2008, wonach die gesamte Trocken- und Halbtrockenrasenfläche an der Thermenlinie nur mehr knapp 72 ha ausmachen.

Das Steinfeld hingegen umfasst historisch rund 700 ha nie umgebrochene, pannonische Steppe, die noch dazu von nur einer Pflanzengesellschaft besiedelt werden, dazu kommen weitere, große Flächen: In einer 2001 zusammen mit Hans-Martin Berg verfassten Arbeit "Sind Truppenübungsplätze die besseren Naturschutzgebiete (...)" wird von Dr. Georg Bieringer die Größe der Trockenrasenflächen des Komplexes Großmittel mit 1500 ha ausgewiesen, darin enthalten sind die zusammenhängenden Gebiete Schießplatz Felixdorf und GÜPl Großmittel. Auf das Flugfeld Wiener Neustadt-West entfallen 430 ha, auf den GÜPl Wiener Neustadt 65 ha und das Naturschutzgebiet "Kalkschottersteppe Obereggendorf" ist 12 ha groß. Abseits davon gibt es kaum mehr größere, intakte Trockenrasen. Eine Fläche, die unmittelbar an den GÜPl Großmittel angrenzt, hat 28 ha, eine weitere ist deutlich kleiner. Restflächen von durchaus relevanter Größe gibt es noch am weitgehend zerstörten Flugfeld Wiener Neustadt-West. Insgesamt liegen aber rund 95 % der Trockenrasen in militärisch genutzten Gebieten.

- - -

Forum Flora Austria: In einer Publikation erwähnst Du die aufgrund der weitläufigen Flächen vergleichsweise geringen Schwierigkeiten, über das ÖPUL-Programm Landwirte zur Bewirtschaftung der großen Flächen zu finden. Die Beweidung über extensive Standweiden mit geringem Besatz sei hier wesentlich einfacher durchzuführen als etwa bei den Trockenrasen des Alpenostrands mit ihren vielen kleinen, heterogenen Flächenansprüchen. Was sind die naturschutzfachlichen Herausforderungen des Gebiets?
Georg Bieringer.jpg
Georg Bieringer.jpg (36.87 KiB) 4369 mal betrachtet
Dr. Georg Bieringer: Das Steinfeld spielt hinsichtlich seiner Größe tatsächlich in einer anderen Liga als alle anderen mitteleuropäischen Trockenrasen. Aktuell gibt es noch rund 2000 ha Trockenrasen; das ist etwa die Hälfte der Fläche, die im Trockenrasenkatalog für ganz Österreich ausgewiesen ist. Davon sind 700 bis 800 ha historisch niemals bewaldete oder umgebrochene "Ursteppe", vergleichbar einem nie abgeholzten Urwald. Der größte Urwald Österreichs hat nur etwa ein Drittel der Fläche der Ursteppe im Steinfeld - ein für das "Waldland" Österreich bemerkenswerter Befund. Die Fläche nie umgebrochener Steppe im Steinfeld ist außerdem ebenso so groß wie im Zentralen Schwarzerde-Naturreservat bei Kursk, dem bedeutendsten Steppenschutzgebiet im Westen Russlands. Europaweit gibt es nur in wenigen Schutzgebieten in der Ukraine und im Osten des europäischen Teils Russlands noch größere Ursteppen. Daher sind auch die naturschutzfachlichen Herausforderungen andere. Ein wesentlicher Faktor ist zwar derselbe wie in anderen österreichischen Trockenrasen-Gebieten: Der Eintrag von Stickstoffverbindungen über Luft und Regen führt zu einer Eutrophierung und dadurch Veränderung der Vegetation. Allerdings ist es im Steinfeld viel leichter, dem gegenzusteuern: Die großflächigen, ebenen Steppen im Steinfeld sind leicht zu bewirtschaften und daher durchaus für Beweidung oder auch Mahd attraktiv. Beides sorgt für einen Nährstoffaustrag und dadurch zu einer Balancierung des Nährstoffhaushaltes. Allerdings liegt bei weitem der Großteil der Trockenrasen in militärischen Sperrgebieten - sonst wären sie ja gar nicht erhalten geblieben. Zwar besteht seitens des BMLVS durchaus die Bereitschaft, mit dem Naturschutz zusammenzuarbeiten, aber im Detail gibt es dann doch immer wieder Probleme: etwa wenn eine landwirtschaftliche Nutzung aufgrund der Gefährdung durch Kriegsrelikte nicht möglich ist. Bis zur Ausweisung des Steinfelds als Natura 2000-Gebiet (in Niederösterreich als "Europaschutzgebiet" verordnet) bestand außerdem die größte Schwierigkeit darin, den verschiedenen Akteuren in der Region die Bedeutung des Gebiets und der Steppen näherzubringen. Immer noch ist es schwierig zu vermitteln, dass die europarechtlich geschützten und europaweit bedeutenden Steppen eine höhere Wertigkeit haben als die aus den 1950er und 1960er Jahren stammenden Föhrenforste.

Wie beurteilst Du die Perspektiven für die Großmittel-Trockenrasen? In der oben erwähnten Publikation stehen als Pluspunkte von Truppenübungsplätzen Großflächigkeit, abgestufte Nutzungsintensitäten, Ermöglichung dynamischer Prozesse wie Aufreißen der Grasnarbe und Brände sowie Abgeschiedenheit. Dem ständen Lärm-, Staub- und Russbelastungen gegenüber wie auch im Extremfall völlige Devastierung von Gebieten oder Schadstoffkontamination, Ausbringung von Düngemittel und Pestiziden durch die konventionelle Landwirtschaft, hier in Wiener Neustadt aber auch die Gefahr einer schleichenden Vergrößerung der Pinus nigra-Flächen und der Bau militärischer Anlagen. Hat sich an diesem Befund seither etwas geändert?

Was die Lärm-, Staub- und Rußbelastung, die Devastierung von Gebieten oder die Kontamination mit Schadstoffen anlangt, haben wir uns nicht konkret auf die Situation im Steinfeld bezogen, sondern haben Befunde aus Deutschland zitiert. Konventionellen Ackerbau mit Einsatz von Pestiziden gibt es allerdings nach wie vor. Daneben gibt es aber auch sehr interessante Bio-Ackerflächen, auf denen Sonderkulturen angebaut werden, die seltenen Arten wie dem Triel (Burhinus oedicnemus) Lebensraum bieten. Die Ausbreitung der Föhrenforste sollte gestoppt sein, denn die gefährdeten Flächen sind in einem Management-Konzept definiert. Seitens der Liegenschaftsverwaltung wird in Zukunft darauf geachtet, dass sich die Forstfläche nicht weiter ausdehnt. Betreffend bauliche Anlangen gibt es eine enge Kooperation mit dem Naturschutz, um sensible Bereiche auszusparen. Insofern hat sich die Situation seit Ende der 1990er Jahre verbessert.

Heißt das, Du bist zumindest mittelfristig vorsichtig optimistisch, was die Erhaltung des Gebiets angeht? Das Verteidigungsministerium wird die Flächen wohl auch nicht hergeben? Eine Frage noch zur Zugänglichkeit: Die ist auf einem militärischen Sperrgebiet natürlich "höchstschwellig", nämlich nur an einzelnen Tagen im Jahr und ausschließlich mit Bewilligung möglich.

Ich bin durchaus optimistisch. Derzeit schaut es auch nicht danach aus, dass sich am Status als militärische Übungsgebiete etwas ändern könnte. Eine solche Situation wäre das einzige Szenario, in dem ich derzeit eine Gefahr für das Gebiet insgesamt sehen würde: Ob der Naturschutz in der Lage wäre, hier statt der militärischen Nutzung ein Großschutzgebiet zu etablieren, ist sehr fraglich. Die Gefahr, dass es eine "Kompromisslösung" geben würde, die zum Schaden der Natur ist, halte ich für recht groß. Zugänglich sind die großen Trockenrasen tatsächlich nur mit Ausnahmegenehmigung. Abseits der Sperrgebiete gibt es durchaus Flächen, die zum Kennenlernen des Gebiets geeignet sind, siehe Karte.

Eine letzte Frage zu den Weiden: Wie groß sind diese und befinden sie sich gänzlich auf dem Großmittel-Gelände, mitten auf dem TÜPl? Die bewirtschafteten Wiesen liegen auch auf militärischem Gebiet?

Die Weiden haben Größen von einmal 45 ha, zweimal je 17 bis 18 ha, zweimal je rund 10 ha und dann noch ein paar kleinere, in Summe etwa 130 ha. Davon liegen rund 40 ha auf militärischen Flächen bei Großmittel, weitere etwa 20 ha auf militärischen Flächen bei Wiener Neustadt. Die etwas größere Hälfte der Weiden liegt knapp außerhalb der militärischen Übungsgebiet um Großmittel herum. Sie sind übrigens keineswegs die einzigen Extensivweiden im pannonischen Raum außerhalb des NP Neusiedler See - Seewinkel: Schon seit den 1980er Jahren gibt es Schafbeweidung in den Hainburger Bergen, weiters bestehen größere Weideflächen an der Thermenlinie, in der Feuchen Ebene, im Marchfeld und im Weinviertel. Die Mähwiesen im Steinfeld liegen weit überwiegend in militärischen Übungsgebieten, aber es gibt duchaus auch außerhalb gemähte Trockenrasen.

- - -

Dr. Georg Bieringer hat uns freundlicherweise folgende Karte zum Kennenlernen des Gebiets zur Verfügung gestellt:
Karte Steinfeld.jpg
Karte zum Kennenlernen des Gebiets, Dr. Georg Bieringer rät dazu ab Ende April
Karte Steinfeld.jpg (596.51 KiB) 4371 mal betrachtet
Weitere Karten zum Gebiet finden Sie übrigens hier:
http://www.zobodat.at/pdf/STAPFIA_0077_0093-0100.pdf (Georg Bieringer, Frank Grinschgl, (2001): Von der Steppe zum Ballungsraum)

Weitere Publikationen zum Gebiet:
http://www.zobodat.at/pdf/STAPFIA_0077_0009-0028.pdf (Georg Bieringer, Norbert Sauberer, (2001): Der Naturraum Steinfeld)
http://www.zobodat.at/pdf/STAPFIA_0077_0075-0092.pdf (Norbert Sauberer, Georg Bieringer, (2001): Wald oder Steppe? Die Frage der natürlichen Vegetation des Steinfeldes)
http://www.zobodat.at/pdf/STAPFIA_0077_0113-0128.pdf (Norbert Sauberer, Peter Buchner, (2001): Die Trockenrasen-Vegetation des nördlichen Steinfeldes)
http://www.zobodat.at/pdf/STAPFIA_0077_0129-0146.pdf (Norbert Sauberer, (2001): Die Flora (Farn- und Blütenpflanzen) des Steinfeldes unter besonderer Berücksichtigung des militärischen Sperrgebietes Großmittel)
"(...) gib ihnen noch zwei südlichere Tage (...)"

Benutzeravatar
Hermann Falkner
Beiträge: 1791
Registriert: Sonntag 23. Oktober 2016, 20:16
Wohnort: Wien

Re: Interview: Dr. Georg Bieringer über die Trockenrasen des Steinfelds

Beitragvon Hermann Falkner » Sonntag 4. Dezember 2016, 20:45

Danke herzlich, insbes. auch für das Kartenmaterial - man sieht dort ja immer wieder Tafeln mit dem Hinweis auf militärisches Sperrgebiet und ohne Ortskenntnis hab ich mich noch nie in diese Schottersteppe hineingetraut.
Eine Vereinsexkursion ins Gebiet wär auch wieder einmal eine tolle Sache (es hat vor längerer Zeit eine gegeben, die ich aber leider verpasst habe).

Benutzeravatar
Jürgen Baldinger
Beiträge: 3482
Registriert: Montag 19. September 2016, 19:47
Wohnort: Wien

Re: Interview: Dr. Georg Bieringer über die Trockenrasen des Steinfelds

Beitragvon Jürgen Baldinger » Sonntag 11. Dezember 2016, 07:05

"(...) gib ihnen noch zwei südlichere Tage (...)"


Zurück zu „Naturschutz“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste