Interview: Dr. Rudolf Krachler zur Zukunft der Salzlacken im Seewinkel

Wie das Kostbare erhalten? Gefährdungen, Schutzmaßnahmen und Interviews
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Jürgen Baldinger
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Interview: Dr. Rudolf Krachler zur Zukunft der Salzlacken im Seewinkel

Beitragvon Jürgen Baldinger » Montag 31. Oktober 2016, 11:13

Dr. Rudolf Krachler vom Department für Anorganische Chemie der Universität Wien und Autor von Studien zum Chemismus der Salzlacken im burgenländischen Seewinkel (siehe unsere Links zur weiterführenden Literatur) erzählt im Mail-Interview mit unserem Forum, warum er für die Zukunft dieser faszinierenden Salzlebensräume vorsichtig optimistisch gestimmt ist.

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Forum Flora Austria: Sie haben sich 2012 in Ihrer Arbeit "Die Salzlacken des Seewinkels" detailliert mit dem Erhaltungszustand aller noch bestehenden Salzlacken im Seewinkel beschäftigt und individuelle Renaturierungsmaßnahmen vorgeschlagen. Hat sich seither politisch etwas bewegt? Gibt es von der Burgenländischen Landesregierung Zusagen zur (zumindest partiellen) Umsetzung der von Ihnen vorgeschlagenen Wiederherstellungsmaßnahmen?

Dr. Rudolf Krachler: Generell erkenne ich im Seewinkel ein erwachendes Bewusstsein für die Werte der Salzlebensräume. Dies aus mehreren Ursachen heraus:

1) Einerseits ist ein Generationswechsel eingetreten. Die alten Betonierer und Entwässerer um jeden Preis, deren Handeln ausschließlich vom Prinzip "je mehr Wasser abgeleitet wird, desto besser" bestimmt wurde, wurden von einer Generation abgelöst, die sich der Natur zuwendet und der die Naturschätze vor der Haustüre bewusster werden. Dies hängt nicht zuletzt auch mit der Globalisierung, dem EU-Betritt Österreichs und der davon ausgelösten Besinnung auf die eigenen Werte und Potenziale zusammen.

2) Zum anderen hat sich der Markt für die Erzeugnisse der Landwirtschaft massiv verändert. Haben sich in den Hungerjahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg alle Kräfte auf die Produktion von Nahrungsmitteln konzentriert und verfolgten daher (bis in die 1960er Jahre!) das Ziel, den Neusiedler See und die Salzlacken des Seewinkels für die landwirtschaftliche Produktion unter Pflug zu nehmen, was dessen Trockenlegung erforderte, ist dieser Wirtschaftszweig nun nicht mehr so attraktiv. Der Tourismus ist das zweite wirtschaftliche Standbein der Region geworden. Diesen Wandel hat erst die nun (seit ganz wenigen Jahren) politisch aktive Generation zur Kenntnis genommen.

3) Seit der Gemeinderatswahl 2012 lenkt auch an der Spitze von Apetlon mit Ronald Payer ein junger und dynamischer Bürgermeister die Geschicke der Gemeinde. Mit ihm ist es dem WWF unter Dr. Kohler nach jahrzehntelangen, vergeblichen Bemühen gelungen, gemeinsam mit dem mächtigen und allgemein akzeptierten Partner Coca-Cola ein Projekt auszuhandeln, bei dem endlich das sinn- und konzeptlose ganzjährige Ableiten des für die Salzlacken des zentralen Seewinkels, allen voran die Lange Lacke, der Xixsee und die Wörthenlacken, so lebensnotwendigen Grundwassers gestoppt wird. Wenn Sie den Lange Lacke - Xixsee - Wörthenlackenkomplex nun besuchen (absolut empfehlenswert im März!) werden Sie sehen, dass wir etwas weitergebracht haben.

4) Den Medien habe ich vor kurzem entnommen, das im Bereich der Gemeinde Illmitz eine Erweiterung des Nationalparks um 100 ha vorgesehen ist (http://burgenland.orf.at/news/stories/2757446/).

Ich habe den Eindruck, dass wir, damit meine ich vor allem die Bevölkerung des Seewinkels und ihre politischen Repräsentanten, die Wende geschafft haben. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Sie sprachen von einem Renaturierungsprojekt, an dem Coca-Cola beteiligt ist. Worum geht es da?

Die wasserbauliche (Teil-)Sanierung des Bereichs Lange Lacke - Wörthenlacken - Xixsee ist Teil einer langjährigen und internationalen Kooperation des WWF mit dem Getränkekonzern Coca-Cola. Eine Charakterisierung dieser Zusammenarbeit finden Sie auf der page des WWF-Österreich unter http://www.wwf.at/de/menu27/subartikel2 ... 1477837601
Im Rahmen dieser Zusammenarbeit finanzierte Coca-Cola die zum Rückstau des Seewinkler Hauptkanals erforderlichen Betoneinbauten (Wehre) am Südende des Xixsees sowie am Westausgang des Hauptkanals aus der Langen Lacke (Abfluss Lange Lacke). Letztere ersetzt die in die Zeit der Errichtung des Hauptkanals (in den beginnenden 1940er-Jahren) zurückreichende und längst nicht mehr betriebsfähige alte Wehranlage. Mit geringem finanziellem Aufwand und unter Einbeziehung der bestehenden kleinen Betonbrücke wurde am Übergang des Hauptkanals von der Östlichen Wörthenlacke zur Langen Lacke (Unterquerung des Lange Lacke-Rundwanderweges) eine Vorrichtung zum Rückstau des Kanalwassers mit dem Ziel montiert, höhere (Frühlings-)Wasserstände in der Östlichen Wörthenlacke zu stabilisieren.
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Was dürfen wir von diesen Maßnahmen für die Stabilisierung der Salzlebensräume im Komplex Lange Lacke - Wörthenlacken - Xixsee erwarten? Der Hauptkanal tritt in die Xixseewanne im Nordosteck ein und verlässt sie an deren Südrand. Innerhalb der Lackenwanne schneidet er sich 1 bis 2 m durch die Lackensohle in den grundwasserführenden Schotterkörper ein und senkt folglich den Grundwasserpegel um mindestens 1 m unter den Lackenboden ab. Ein Rückstau des Hauptkanals am Südrand der Xixsee-Wanne, der maximal bis zur Kanaloberkante (also maximal die Wannensohle erreicht!) vorgesehen ist, kann daher niemals den Xixsee mit Wasser befüllen. Dies war nicht zu erwarten und ist auch nicht eingetreten.

Durch die Anhebung des Grundwasserpegels unter der Xixsee-Wanne wird der Prozess des Ausspülens der Bodensalze (Stichwort "salzführender Horizont") aus dem Sediment der Lackenwanne verzögert und die Verdunstung von Grundwasser und dadurch bedingt die oberflächliche Anreicherung von Salzen begünstigt werden. Wir dürfen also eine Zunahme der Salinität innerhalb der Lackenwanne erwarten. Mit allen Konsequenzen für die Botanik. Ein Monitoring wäre spannend.

Was ist für die Lange Lacke zu erwarten? Der Wasserhaushalt der Langen Lacke ist charakterisiert durch einen Grundwasserbeitrag, der den Niederschlagsbeitrag ergänzt. Dieser Grundwasserbeitrag ist die bedingungslose Voraussetzung dafür, dass die Lange Lacke viele Jahre überspannend durchgehend (perennierend) wasserführend sein kann. Durch den Grundwasserabzug des Hauptkanals wurde der Grundwasserpegel unterhalb der Langen Lacke so weit abgesenkt, dass der Grundwasserbeitrag im Lauf der Jahrzehnte immer geringer wurde, bis die Lange Lacke 1990 schließlich sommerlich trocken fiel. Aus einer perennierenden wurde eine temporäre Lacke. Dieser Zustand dauerte im Wesentlichen bis 2014 an, wobei die Lange Lacke oft schon zeitig im Frühling trocken war. Mit dem Rückstauprojekt war die Hoffnung verknüpft, den Grundwasserpegel unter der Langen Lacke so weit anzuheben, dass auch der Beitrag des Grundwassers zur Wasserbilanz wieder ansteigen kann und die Lange Lacke wieder zu ihrer perennierenden Charakteristik zurück findet. So weit wir es heute beurteilen können, dürften sich diese Hoffnungen erfüllen. Mit der Anhebung des Grundwasserspiegels ist wie beim Xixsee auch für die Lange Lacke und deren Randbereiche ein mittelfristiger Anstieg der Salinität zu erwarten.

Halten Sie das weitere Absinken des Grundwasserspiegels im Seewinkel für tatsächlich gestoppt und schlägt sich dies abiotisch/biotisch bereits konkret wieder?

In Teilbereichen halte ich persönlich das weitere Absinken des Grundwasserspiegels für gestoppt. Ein schönes Beispiel (neben dem oben erwähnten Komplex Lange Lacke) ist der zu Beginn der 1990er Jahre implementierte Rückstau des Absenkgrabens Unterer Stinkersee, der nicht nur den Wasserstand des Unteren Stinkersees, sondern auch des mit diesem verbundenen Südlichen Stinkersees normalisiert hat. Letzterer war vordem nahezu ständig trocken oder führte kurzzeitig minimal Wasser und ist seit der Rückstaumaßnahme wiederum eine vollwertige Lacke mit dichtem Brutvogelbesatz, siehe Grafik zu Entwicklung der Wasserführung des Unteren Stinkersees vor und nach der Rückstaumaßnahme im Absenkgraben. Ebenfalls erkennbar ist auch die Wirkung der Rückstaumaßnahme im Absenkgraben des Mittleren Stinkersees, der sich seither auch auf die Wasserführung des Oberen Stinkersees günstig auswirkt.
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Ein Beispiel für einen Problembereich ist der Komplex Birnbaumlacke - Ochsenbrunnlacke - Kleine Neubruchlacke: Einerseits ziehen von hier die beiden Äste des Schrammelgrabens Grundwasser in Richtung Neusiedler See bei Podersdorf ab, andererseits befinden sich in unmittelbarer Nähe Hochleistungstiefbrunnen, welche die umfangreichen Bewässerungssysteme des Paulhofs anspeisen. Damit "graben" sie gleichzeitig dem Komplex Birnbaumlacke - Ochsenbrunnlacke - Kleine Neubruchlacke die Grundwasserbasis mitsamt ihren notwendigen Salzen "ab". Hier zeichnet sich im Moment für mich wenig Positives ab.

Sie zeigten sich vorsichtig optimistisch, was die Lacken des zentralen Seewinkels betrifft. Wie sehen Sie deren Lage an der Peripherie?

Wir unterscheiden die Lacken des zentralen Seewinkels, das sind im Wesentlichen jene innerhalb des Gevierts Apetlon - Poderdorf - Frauenkirchen - St. Andrä. Ihre Anlage wird von Quartärgeologen in die letzte Zwischeneiszeit datiert. Demgegenüber sind die Seerandlacken beginnend im Norden mit der Legerilacke (=Golser Lacke) über die Stinkerseen, Silberseen, Illmitzer Zicksee, Herrnsee, Krautingsee, Schrändlseen, Weißseen und Meierhoflacke bis zu den Arbesthaulacken Abschnürungen des an sich schon wesentlich jüngeren Neusiedler Sees und damit nicht älter als 2000 Jahre. Beispielsweise ist der Illmitzer Zicksee auf der Karte der Josefinischen Landesaufnahme noch als Teil des Neusiedler Sees dargestellt.

Grundsätzlich ist die hydrologische Situation der Seerandlacken jener der Lacken des zentralen Seewinkels ähnlich: Sie liegen einige Meter tiefer als der zentrale Seewinkel und viele von ihnen kommen daher von dort aus in den Genuss eines natürlichen Grundwasserstromes. Dies betrifft z.B. den Illmitzer Kirchsee, Illmitzer Zicksee, die Einsetzlacke (Krötenlacke), die Runde Lacke, den Unteren Stinkersee, die Lettengrube nördlich des Oberen Stinkersees, die Untere Hölllacke und andere kleinere Lacken an der Westgrenze des zentralen Schotterkörpers. Nachdem das Quartär vom zentralen Seewinkel in Richtung Westen auskeilt, profitieren die seenahen Lacken wie auch der Neusiedler See selbst von diesem Grundwasserstrom weniger. Allerdings ist der besagte breite Grundwasserstrom infolge der Grundwasserabsenkung im zentralen Seewinkel seit Jahrzehnten stark gedrosselt, sodass viele der Seerandlacken mit der Existenz kämpfen (siehe Paradebeispiel Kirchsee). Ganz abgesehen davon, dass viele der Seerandlacken selbst Opfer von Trockenlegungsmaßnahmen wurden (z.B. Kirchsee, Illmitzer Zicksee, Albersee, Schrändlseen, Silberseen, Scheibenlacke, Untere Hölllacke, Arbesthaulacken, Apetloner Weißseen). Résumé: Die hydrologische Situation der Seerandlacken ist vergleichbar mit jener der Lacken des zentralen Seewinkels. Herbeigeführt durch wasserbauliche Maßnahmen, die schon in die 1920er-Jahre zurückreichen, ist der ökologische Zustand nicht wesentlich rosiger als jener ihrer Schwesterlacken im zentralen Seewinkel.

Zum Abschluss noch eine positive Nachricht: Die Salzlacken und Salzböden des Seewinkels sind nicht verloren. Wann immer etwas zu ihrer Rehabilitierung getan wurde, wurde damit auch eine Verbesserung bewirkt. Die oft gehörten und vielleicht auch bewusst lancierten, in jedem Fall defätistischen Statements wie "Eine einmal kaputte Lacke ist verloren, für immer" oder "Die Salze des salzführenden Horizonts sind erschöpft, damit müssen wir uns abfinden" sind unrichtig und sollen nur zur Akzeptanz eines Zustandes führen, der bewusst durch gezielte und gekonnte Maßnahmen herbeigeführt worden ist. Vergessen wir nicht, dass noch um 1960 (!) Forschungsgelder dafür aufgewendet wurden, Methoden auszuarbeiten, um Salzböden des Seewinkel zu entsalzen und damit kultivierbar zu machen (Diss. G. Husz, Boku 1962).

(Interview geführt von Jürgen Baldinger im Februar und Oktober 2016)
"(...) gib ihnen noch zwei südlichere Tage (...)"

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