Grundsätzliches

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Jürgen Baldinger
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Grundsätzliches

Beitragvon Jürgen Baldinger » Mittwoch 28. September 2016, 21:39

Hier ist das Forum des Vereins zur Erforschung der Flora Österreichs. Dessen Ziel ist es, ein wissenschaftliches Kompendium der Flora unseres Landes zu erstellen sowie universitäre Bildung und Erwachsenenbildung in der Botanik zu befördern.

Eine Naturentfremdung ist vor sich gegangen. Viele Menschen können heute selbst die häufigeren Pflanzen- und Tierarten nicht mehr benennen, von den (oftmals störungsensiblen) Raritäten ganz zu schweigen. Die Lehre der Artenkenntnis kommt heute - auch in Schulen und an Universitäten - zu kurz.

Aus allgegenwärtigem Verwertungsdruck werden täglich rund 20 ha Boden versiegelt, der damit verloren ist und seine Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Einst extensiv bewirtschaftete Wiesen wurden umgebrochen, um ertragreichen Äckern Platz zu machen. Vor allem in den Tieflagen stellen diese heute vielfach Agrarwüsten dar: Landschaftsstrukturierende Elemente wie Raine oder randliche Hecken fehlen ihnen oft völlig. Gespenstische Stille macht sich im Sommer auf solchen intensiv bewirtschafteten Flächen breit. Das Bearbeiten der Felder mit Pestiziden und ihre exzessive Überdüngung hat wunderschöne Ackerbeikräuter ausgelöscht. Andernorts wurde artenreiches Grünland zu monotonen Intensivwiesen degradiert, die zur Futtergewinnung bis zu sechsmal (!) im Jahr gemäht werden können. Auf ihnen wachsen in Massen Wiesen-Löwenzahn, Scharf-Hahnenfuß und Wiesen-Kerbel, sonst kaum mehr etwas. Groteskerweise werden in der Werbung immer wieder solche Wiesen und Landschaften gezeigt, wenn Naturnähe suggeriert werden soll. Zu oft stellen sich Kinder nichts anderes mehr darunter vor. Neben solcher intensivlandwirtschaftlichen Nutzung ist auch das Gegenteil ein großes Problem für die Artenvielfalt, das Brachfallenlassen. Weniger ertragreicher Boden auf Grenzstandorten, ehedem gern als Weiden genützt, wird nicht mehr bewirtschaftet, wenn er nicht "verbessert" werden konnte. Wertvolle Trocken- und Halbtrockenrasen verbuschen und bewalden sich wieder. Jahrhundertealtes, naturschutzfachlich besonders wertvolles Offenland geht damit verloren. Und es sind alle Naturräume betroffen: Flüsse wurden begradigt, Feuchtgebiete entwässert. Sogar in das Hochgebirge, letztes Refugium, drängt der Massentourismus nun. In den Gärten darf es unordentliche Ecken nicht mehr geben, alles muss gestaltet und steril sein, und in den großen Siedlungsgebieten werden Gstätt'n, wie urbane Brachen in Wien heißen, rar.

Die Artenvielfalt unserer einst so abwechslungsreichen Kulturlandschaft an der Grenze von mitteleuropäischer Florenregion und pannonischer Florenprovinz ist über weite Strecken dahin und zum Rückzug in isolierte Schutzgebiete oder höhere Lagen verdammt. Wild-Arten sterben aus, es verschwinden aber auch alte Obst- und Gemüsesorten oder hochwertige Nutztierrassen. Selbst die so wichtige Bestäubungsfunktion der Bienen ist inzwischen gefährdet. Von unserer grundsätzlichen menschlichen Verantwortung für die unbelebte und belebte Umwelt des Planeten ist noch gar nicht die Rede gewesen.

Wem die Zerstörung der natürlichen Lebensräume nicht gleichgültig ist, wer vielleicht selber im Naturschutz sich engagiert, wer das Sein in der Natur als existenziellen Kraftbrunnen schätzt und mit allen Sinnen die Zusammenhänge des Lebendigen erleben will, kommt um profunde Artenkenntnis nicht herum. Mit herkömmlichen Bildbestimmungsbüchern, die die rund 3.600 heimischen Wildarten unserer Pflanzenwelt nicht in ihrer Gänze fassen können, stößt man unweigerlich an die Grenzen der floristischen Weisheit. Dazu kommt, dass gerade die artenreiche pannonische Florenprovinz in vielen Werken unterrepräsentiert ist. Bestimmungskritische Arten lassen sich kaum mit nur einem Bild oder Foto darstellen. Wer unsere heimischen Farn- und Blühpflanzen in ihrer Breite und Tiefe kennenlernen möchte, kommt um gute wissenschaftliche Bestimmungsschlüssel nicht herum. Für Österreich finden sich diese in der "Exkursionsflora" (siehe Links). Es kann bekanntlich nur geschützt werden, was man kennt. Dieses Forum soll einen kleinen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Flora unseres Landes, letztlich aber auch der ökologischen Wechselwirkungen unserer natürlichen Umwelt insgesamt leisten. Die Hoffnung lebt, dass auch künftige Generationen an der Natur sich erfreuen können und jede Spezies zu ihrem Daseinsrecht kommt.

Jeder und jede Pflanzeninteressierte ist eingeladen, an unserem Austausch teilzunehmen, Bestimmungsfragen zu stellen oder selber entsprechendes Wissen beizutragen. Behandelt werden nur Pflanzenarten, die zumindest unbeständig verwildern; ausschließliche Garten-, Balkon- und Zimmerpflanzen scheiden daher aus, die häufigsten Kultivierten sind ausgenommen.

Gegenstand unserer Bestimmungen ist systematisch gesehen primär die Überabteilung Tracheophyta (Cormophyta, Siphonophyta), also die Gefäßpflanzen ("Höhere Pflanzen"), d. h. Pteridophyta/Gefäßsporenpflanzen (Farnartige Pflanzen) und Spermatophyta/Samenpflanzen. Wir würden uns aber freuen, fänden sich auch Spezialisten und Spezialistinnen für die Überabteilung der Bryophyta/Moose (Horn-, Leber- und Laubmoose). Wer Flechten bestimmen kann, ist ebenfalls eingeladen. Willkommen sind daneben Meldungen interessanter Funde. Aber Vorsicht: Es besteht hohe Suchtgefahr. Die Natur "lesen" und anhand der Arten Einblicke in die Interaktionen von biotischer und abiotischer Umwelt gewinnen, ist bereichernd und schlicht schön. In naturnahen Landschaften unterwegs sein, tut Körper und Geist gut. Und dann ist jeder Fund einer selteneren Spezies auch immer so etwas wie ein kleiner Schatz, auf den man gestoßen ist.

Gerne können Fotos hochgeladen werden, die maximale Dateianhanggröße beträgt 2 MB; meist werden Bilder vorher somit zu skalieren sein. Links zu weiterführender Literatur oder zu anderen interessanten Seiten über die heimische Fauna und Flora werden ebenfalls veröffentlicht.

Taxonomie und Nomenklatur folgen im wesentlichen Fischer M. A., Oswald K. & Adler W. (2008): Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol. 3. Aufl. – Linz: Land Oberösterreich, Biologiezentrum der oberösterreichischen Landesmuseen. Davon abweichend wird bisweilen - wie etwa bei den Amaranthaceae s. lat., die jetzt auch die bisherigen Chenopodiaceae umfassen - neueren taxonomischen Erkenntnissen Rechnung getragen.

Im Übrigen heißen wir Ideen darüber, was wir besser machen können, willkommen.


Mit sonnigen Grüßen,

Jürgen Baldinger

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