Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beobachtungen, auch an trivialen Arten
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Hermann Falkner
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Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Hermann Falkner » Mittwoch 6. Juni 2018, 21:40

Liebe Leute,

wenn man den EFÖLS-Schlüssel liest, dann könnte man glauben, die Unterscheidung dieser beiden Arten sei eh "ganz leicht", aber ganz so ist's dann doch nicht, wie wir übrigens auch bei der jüngsten Exkursion nach Krems-Stein festgestellt haben - dort wohl hauptsächlich Muscari comosum bzw. alle Exemplare, die ich aus der Nähe gesehen habe, jedenfalls.

Und wirklich sicher bin ich mir eigentlich nur bei typischen Exemplaren von Muscari comosum, d. h. wenn die unfruchtbaren Schopfblüten sehr klein sind und auch sehr deutlich bogig aufsteigend bis aufrecht; bei Exemplaren, bei denen diese Merkmale nicht so schön ausgeprägt sind, bin ich mir oft unsicher bzw. in der Regel zu wenig sicher, um Muscari tenuiflorum bestimmen zu können.

Anbei drei Bilder zur Illustration - und meine Interpretation der Merkmale:
- Bild 1 Muscari cf. tenuiflorum = in Vollblüte vom Thebener Kogel (Slovakei, aber unweit der Hunsdheimer Berge liegend und auch floristisch sehr ähnlich)
- Bild 2+3 = aufblühend vom Hundsheimer Berg; #2 = cf. tenuiflorum, #3 ist sicherlich M. comosum
Beide Gebiete sind Naturschutz

Schlüsselmerkmale im Vergleich:
(alles natürlich unter der Annahme, dass ich alle 3 Exemplare korrekt bestimmt haben sollte)

- Perigonzipfel: gelblich/grünlich bei comosum, schwarz bei tenuiflorum:
#1 = definitiv dunkel, aber keineswegs schwarz: dunkelgrün hätte ich gesagt (bzw. jedenfalls nicht rein schwarz; oder blaugrün-schwarz??)
#2 = ebenfalls nicht schwarz, sondern dunkelgrün!
#3 = deutlich grüne Perigonzipfel, hier passt der Schlüssel also
Ich würde die Farbe bei tenuiflorum also als ein sehr dunkles Grün beschreiben (meinetwegen "schwarzgrün"), im Vergleich zu comosum wird der Unterschied deutlich, aber ohne diesen Vergleich ist die Farbangabe etwas verwirrend, finde ich.

- (unfruchtbare) Schopfblüten: viel kürzer (und schmäler) als die fruchtbaren bei comosum, rund so lang (aber auch hier schmäler) bei tenuiflorum:
#1 = rund zu 2/3 des Blütenstands entspricht dem tenuiflorum-Merkmal, die obersten Schopfblüten sind aber deutlich kürzer als die fruchtbaren (hier in Vollblüte)
#2 = derselbe Befund, obwohl noch knospig
#3 = im untersten Drittel mit einigen Schopfblüten, die entgegen dem Schlüsselmerkmal fast so lang sind wie die fruchtbaren Blüten direkt darunter, die aber noch knospig sind: das liegt aber sicherlich daran, dass der Blütenstand noch teilweise knospig ist, in Vollblüte ist dieses Merkmal bei M. comosum in der Regel gut feststellbar
Hier stimmt das Merkmal also an sich schon, es wäre aber vielleicht gut, im Schlüssel darauf hinzuweisen, dass das Merkmal bei tenuiflorum nur in den unteren 2/3 des "Schopfblüten-Blütenstandes" wirklich gut und schön ausgeprägt ist.

(- Zwiebelmerkmal nicht überprüft, insbes. tenuiflorum sollte man ja selbst ausserhalb von Schutzgebieten nicht ausgraben)

- Länge der Stiele der Schopfblüten: 2-6x so lang wie die Schopfblüten bei comosum, und aufrecht; vs. 1-3x so lang wie die Schopfblüten bei tenuiflorum, meist abstehend bis nickend:
#1 = stimmt wieder nur für einen Teil der Schopfblüten, und zwar wieder für (rund) das untere Drittel, während die obersten aufsteigend sind (allerdings nicht so ausgeprägt wie bei comosum) und wesentlich länger als 3x so lang wie die im obersten Teil kleineren Schopfblüten, dh hängt natürlich mit dem Schopfblütenmerkmal (siehe oben) zusammen
#2 = hier ist die untere Hälfte nickend, die obere aufsteigend, nur ganz wenige sind aufrecht, dagegen passt das Längenverhältnis des Stengels hier (in Knospe) auch für die obersten, kleineren Schopfblüten noch; offenbar sind diese in Knospe untypisch und nicht schlüsselkonform, erst beim Auflbühen stimmt dann auch der Schlüssel (dh ausgenommen für die obersten Schopfblüten)
#3 = das Merkmal passt auf comosum, bzw. - einen Formulierungswunsch hätte ich hier: "aufrecht" ist eigentlich nicht richtig, besser wäre "bogig aufsteigend" oder ähnlich

- Perigon der fruchtbaren Blüten im Knospenzustand: bei tenuiflorum auch im Knospenzustand blauviolett, für comosum nicht angegeben (müsste "eigentlich" in einem streng dichotomischen Schlüssel auch für comosum angegeben werden):
#1 = klarerweise nicht feststellbar, da voll aufgeblüht
#2 = im aufblühenden Zustand ist das Perigon der obersten Blüten noch zu 3/4 violett, nur der vordere Bereich ist grün, die Zipfel "schwarzgrün" (oder so, siehe oben): das Merkmal ist also so halb-halb vorhanden, und noch jünger ist es glaub ich auch noch etwas besser ausgeprägt
#3 = im aufblühenden Zustand ist das Perigon vollständig violett, dieses wohl eindeutige Individuum von M. comosum erfüllt das Merkmal also besser als das mutmassliche M.-tenuiflorum-Exemplar!
Bei diesem Merkmal hätte ich also eigentlich festgestellt, dass es für eine Bestimmung ziemlich untauglich, sogar verwirrend ist.

Zusätzlich ist mir ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ins Auge gestochen, das im Schlüssel nicht angeführt wird:
#3 = M. comosum = noch nicht aufgeblühte fertile Blütenknospen sind aufrecht, dem Stengel +/- anliegend!
#2 = M. cf. tenuiflorum = hier sind diese nickend/hängend!

Man könnte den Schlüssel also wie folgt abändern:

2+ Perigonzipfel der unteren, fruchtbaren Blü schwarzgrün; "Schopfblütenstand" (nur unfruchtbare Blü): Blü in der unteren Hälfte rund so lg wie die fruchtbaren (aber schmäler), oberste deutlich kürzer, Stiele dieser Blü in untere Hälfte rund 1-3x so lg wie diese, oberste im Verhältnis länger, untere abstehend bis nickend, nur die oberen bogig-aufsteigend; Perigon der fruchtbaren Blü in Knospe nickend bis hängend; Perigon der unfruchtbaren und auch der fruchtbaren Blü im Knospenzustand zweifärbig: violett, im vordersten Teil grün, später unfruchtbare zur Gänze violett, fruchtbare grün ....... Muscari tenuiflorum
2- Perigonzipfel der unteren, fruchtbaren Blü gelbl. bis grünl.; alle Blü im "Schopfblütenstand" (nur unfruchtbare Blü) deutlich kürzer (und auch schmäler) als die fruchtbaren, alle Stiele dieser Blü bogig-aufsteigend; Perigon der fruchtbaren Blü in Knospe aufrecht, dem Stengel anliegend; Perigon auch der fruchtbaren Blü im Knospenzustand violett, später zur Gänze grün, unfruchtbare immer violett ..... Muscari comosum

Das Perigon-Merkmal im Knospenzustand müsste natürlich erst noch bestätigt werden, ist ja gut möglich, dass ich hier untypische Exemplare erwischt hätte, und die Formulierung wäre insgesamt wohl auch noch verbesserungswürdig.
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20180603_0299_P6030300.jpg
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#1 Muscari cf. tenuiflorum - 03.06., Thebener Kogel, Bratislava (Devínska Nová Ves)
20180603_0299_P6030300.jpg (701.78 KiB) 5944 mal betrachtet
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#2 Muscari cf. tenuiflorum - 20.05., Hundsheimer Berg
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20180520_0262_P5200262.jpg
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#3 Muscari comosum (wohl eindeutig?!) - 20.05., Hundsheimer Berg
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Stefan Lefnaer » Mittwoch 6. Juni 2018, 22:11

Lieber Hermann,

die Fotos halte ich für richtig bestimmt. Der aktuelle Schlüssel ist vermutlich nur für jemanden brauchbar, der schon weiß auf was es ankommt. Die von dir vorgeschlagene Verbesserung halte ich für sinnvoll. Nur bei der Periogonfarbe müsste man, wie du ja schreibst, nachprüfen ob das immer so gilt bzw. ob sich die Blüten im Laufe der Entwicklung überhaupt umfärben.

Schöne Grüße
Stefan

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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Jürgen Baldinger » Donnerstag 7. Juni 2018, 16:03

Muscari comosum?
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Hermann Falkner » Donnerstag 7. Juni 2018, 16:50

Danke Stefan! Ich gebe dann an die EfÖls-Autoren weitet.
Jürgen: ja! ;-) würde ich für einen klaren Fall von M. comosum halten.

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Stefan Lefnaer
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Stefan Lefnaer » Donnerstag 7. Juni 2018, 17:02

Ja, würde ich für Muscari comosum halten.

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Jürgen Baldinger
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Jürgen Baldinger » Donnerstag 7. Juni 2018, 17:05

Passt, danke. 19 Exemplare stehen da an diesem Bhf im Marchfeld herum.
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Hermann Falkner » Freitag 8. Juni 2018, 19:46

Ich hab noch ein paar Bilder gegoogelt, den Schlüssel überarbeitet und folgenden Vorschlag an die EfÖLS-Herausgeber geschickt - ich nehme an, dass es für die 4. Auflage schon einen Bearbeiter gibt und ein guter Kenner dieser Artengruppe ist dann hoffentlich auch in der Lage zu beurteilen, ob meine Vorschläge wirklich zielführend sind bzw. was davon brauchbar ist und was nicht:

2 Perigon fruchtbarer Blü. zur Anthese meist gelbgrün, im vorderen Teil mit „grüner Binde‟ bzw. nicht bräunl.; fruchtbare Blü in Knospe insbes. im oberen Teil des BlüStandes blauviolett, oft mit „grüner Binde‟, immer nickend, auch im obersten Teil des BlüStandes; Stiele der „SchopfBlü‟ 1–3× so lg wie diese, in der unteren Hälfte des BlüStandes abstehend bis nickend, im oberen Teil auch bogig aufsteigend, kaum aufrecht, zumindest untere „SchopfBlü‟ ≈ so lg wie die fruchtbaren (aber schmäler). — Zwiebel innen weiß. (...) Schmalblüten-T./ M. tenuiflorum
– Perigon und Perigonzipfel fruchtbarer Blü. zur Anthese gelb bis grünl., im vorderen Teil mit „braungelber Binde‟; fruchtbare Blü in Knospe insbes. im oberen Teil des BlüStandes blauviolett und immer aufrecht bis anliegend, untere auch nickend; Stiele der „SchopfBlü‟ 2–6× so lg wie diese, alle bogig aufsteigend bis aufrecht, „SchopfBlü‟ viel kürzer (u. schmäler) als die fruchtbaren. — Zwiebel innen rosa, sehr tief im Boden. (...) Schopf-T., Eigentliche Schopf-T./ M. comosum

Manfred A. Fischer
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Manfred A. Fischer » Freitag 8. Juni 2018, 21:11

Liebe Leute,

nur 0271 vom Hundsheimer Berg ist tenuiflorum, alle anderen sind comosum. Das beste Merkmal ist der schwarze Perigonsaum bei tenuiflorum. Die grüne Querbinde ist vielleicht tatsächlich ein weiteres gutes Differenzialmerkmal, sollten wir im Auge behalten. Der Schlüssel von Speta ist nicht schlecht, denn sein zweites diakritisches Merkmal, nämlich die bei comosum kürzeren sterilen Blüten, stimmt doch ebenfalls! Warum der Schlüssel nicht brauchbar sein soll (Stefan) verstehe ich also nicht! Die innen rosa Zwiebel braucht man nicht und sollte man beim seltenen tenuiflorum keinesfalls ausgraben und durchschneiden. Die verschiedene Stellung der oberen fertilen Blütenknospen (laut Hermann F.) sollten wir an mehr Populationen untersuchen. Wohl aber selbst dann, wenn es durchgehend stimmt, kein Anfänger-Merkmal!

Der Unterschied zwischen "gelbgrün" und "gelb bis grün" als erstes, somit bestes und wichtigstes Merkmal ist wohl eher ein Witz als ein Anfänger-Merkmal! Falls es stimmt, sollten wir es aber dennoch anführen.

Übrigens: Wenn der Schlüssel nur für Kenner brauchbar sein sollte, woran hat dann der Kenner die beiden Arten erkannt, bevor er den Schlüssel benützt hat? Gibt es noch weitere, geheime Merkmale? Bitte heraus mit der Sprache!

Liebe Grüße

Manfred

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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Manfred A. Fischer » Freitag 8. Juni 2018, 21:40

Ergänzung zu Muscari comosum vs. tenuiflorum:
Im Rothmaler (20./2011 u. 21. Aufl./2016) wird ein Unterschied angegeben, der m. E. schwer nachzuvollziehen ist. Bitte um Beobachtungen, ob das so stimmt! Ich sehe keinen klaren Unterschied zwischen "stark auswärts gekrümmten" und "schwach gekrümmten" Zähnen. Der Durchmesser der Öffnung könnte tatsächlich verschieden sein. Ohne metrische Angabe ist jedoch "eng" vs. "weit" ziemlicher Unfug, denn das wäre tatsächlich ein Merkmal für Kenner! Stimmt "weißlichgrün" versus "olivbraun"?

LG
Manfred A. F.

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Stefan Lefnaer
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Re: Muscari tenuiflorum vs. comosum

Beitragvon Stefan Lefnaer » Freitag 8. Juni 2018, 21:53

Lieber Manfred,

ich habe nicht gesagt, dass der Schlüssel unbrauchbar ist. Er ist aber anscheinend schwierig, wenn man noch nicht weiß worauf es genau ankommt. Ich hatte anfänglich Probleme und die Kollegen ja anscheinend auch. Daher halte ich eine Präzisierung durchaus für sinnvoll.

Die Perigon-Blätter der Planze am 1. Foto vom Thebener Kogel haben übrigens auch einen schwarzen Saum. Das würde dann nicht zusammenpassen.

Schöne Grüße
Stefan


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