Gedankenexperiment Versteppung

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Jürgen Baldinger
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Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Jürgen Baldinger » Freitag 1. Juni 2018, 11:59

Angenommen, die Durchschnittstemperaturen während der Vegetationsperiode würden weiter steigen, die Niederschlagsmengen sinken, sagen wir, bis unter 300 mm im Jahr. Dann verschöbe sich ja die Westgrenze der primären Steppen, die derzeit in Rumänien liegt, nach Westen. Würde das bedeuten, dass Verbuschung und Bewaldung von (Halb-)Trockenrasen künftig langsamer vor sich gingen und sich, zunächst auf Extremstandorten wie sehr flachgründigen Böden, auch ohne Bewirtschaftung baumlose Rasen und Wiesen entwickeln würden, die aufgrund ihrer verfilzten Streuschicht artenärmer als ihre extensiv genutzten Vorgänger wären?
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Hermann Falkner
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Hermann Falkner » Dienstag 5. Juni 2018, 21:16

Sehr gewagte Theorie, Jürgen ;-) habe ein paar Tage drüber nachgedacht: ich glaub nicht, dass die Niederschläge so rasch so stark sinken, ausserdem spielen hier sehr viele Faktoren mit - wenn der Golfstrom etwa nachlässt, wofür es Anzeichen gibt, dann könnte das zu stärkeren Klimaextremen führen (bzw. die dahin existierende Tendenz noch verstärken), etwa also zu mehr Starkregenereignissen, die dann insgesamt keine grossartige Verringerung der Niederschläge insgesamt bedeuten, nur eine - für die Natur - ungünstigere Verteilung derselben, die auch zB verstärkt zu Erosion führen würde.

Sprich die Richtung könnte auch eine ganz andere sein - extreme Niederschlagsereignisse in relativ kurzer Zeit, die zu Verkarstungserscheinungen führen könnten, und längeren Trockenphasen, also eher das, was in mediterranen Ländern zu beobachten ist, aber wohl kaum mit ähnlich hohen Temperaturen.
Auf durch Erosion verarmenden Böden könnten sich dann alle möglichen Neophyten ausbreiten, schon vorhandene wie die Robinie aber womöglich auch neue.
Auch das ist natürlich alles reine Spekulation.

Die Konsequenzen aus der Klimaerwärmung lassen sich meiner Meinung nach derzeit also noch gar nicht abschätzen, es könnte in alle möglichen Richtungen gehen, die Änderungen könnten von "nur" moderat hin zu einem mehr mediterranen oder mehr steppenähnlichen Charakter gehen, oder zu irgendwas dazwischen, oder zu "ganz was anderem" ...

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Jürgen Baldinger
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Jürgen Baldinger » Donnerstag 10. September 2020, 06:28

Christian Übl, Direktor des NP Thayatal, sagt im neuen "Naturschutz bunt" übrigens, dass sich durch mehr Trockenheit und Hitze Trockenrasen hinkünftig eventuell leichter erhalten lassen werden: "In Zukunft werden diese extremen Standorte weniger Management brauchen und sich vielleicht etwas ausdehnen."
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Alexander
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Alexander » Donnerstag 10. September 2020, 09:36

Hallo miteinander,

ich glaube dass der Klimawandel in den alpinen Regionen den größeren Einfluss auf die Vegetation haben wird.

Grüße
Alex
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cloudya
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon cloudya » Donnerstag 11. Februar 2021, 16:52

Hallo zusammen,

ich denke doch, dass wir in Deutschland sehr gut aufgestellt sind was die Flora angeht. Wir haben sehr viele Bäume und auch sehr sehr viele Seen, auch künstlich angelegte. Solange diese noch nicht leer sind wird Deutschland sicher nicht zur Steppe.

LG,
Claudia
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Hermann Falkner
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Hermann Falkner » Sonntag 18. Juli 2021, 13:40

Ein Artikel aus dem Wochenend-Standard vom 17./18.07.21 passt zum Thema - viel steht zwar nicht drin, aber doch ein intressanter Punkt:

Der Jetstream wird träger und dadurch werden Tiefs, aber auch Hochs, "weniger mobil" (was an der sinkenden Temperaturdifferenz zwischen Pol und gemässigter Zone liegt, weil sich die Arktis viel rasanter erwärmt, als unsere Breiten): dh Wetterlagen, ob jetzt nass oder heiss, halten immer öfter länger an, was für die Natur immer herausfordernder wird: heuer haben wir das ja schon mehrfach erlebt, in Ostösterreich zuerst sehr trockener Vorfrühling, dann nasskalter Frühling (der aber das Niederschlagsdefizit aus dem Vorfrühling nicht kompensiert), dann extreme Dürre und jetzt gerade Starkregen und Hochwasser, wobei das Hochwasser an der Donau wohl deutlich unter dem von 2013 bleiben wird. Und für die nächsten 14 Tage lt Langzeitprognosen dann wohl wieder sehr warm und trocken ...

Die Niederschlagsverteilung ist dabei selbst im kleinen Österreich heuer zB sehr stark fragmentiert: der Osten war extrem trocken, manche Gebiete sind beim Jahresniederschlag dagegen nur leicht im Minus und das westliche Mühlviertel ist im sonst so trockenen Juni sogar deutlich im Plus!
Nachlesbar bei der ZAMG:
https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/new ... nd-trocken

Mehr Extreme bedeutet natürlich - neben Hochwasserkatastrophen wie jetzt (die Österreich ja diesmal nur am Rand getroffen hat) - auch mehr Erosion, Muren oder ganze Bergrutsche; lokal vielleicht auch Verkarstungserscheinungen.
Versteppung womöglich auch, am ehesten im so schon so trockenen Weinviertel.

Und wenn der Mensch regelnd eingreifen will, wie dzt aus mehr wirtschaftlichen als naturschützerischen Gründen beim Neusiedler See, dann kann das die Lage genausogut auch verschlimmern, wenn nur kleinste Fehler gemacht werden: Donauwassereintrag in den Neusiedler See würde ohne Salzzufuhr wohl zu Verschlammung und Verlandung binnen weniger Jahrzehnte führen, und mit künstlicher Salzzufuhr kann man sicher auch viel falsch machen.
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Scotiella
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Scotiella » Mittwoch 21. Juli 2021, 22:42

Ein anderer Faktor der hier noch nicht diskutiert wurde ist das Nährstoffangebot. Weiter oben wurde erwähnt es könnte den Trockenrasen durch Klimaerwärmung längerfristig besser gehen. Ich bin mir da nicht so sicher. In Österreich haben wir durch Industrie und Verkehr einen hohen NOx Eintrag. Vermutlich werden Pflanzen mit sehr guter (tiefer) Bewurzelung erfolgreich sein die es aber nicht unbedingt mager brauchen.

Die rumänischen Steppen kenne ich nicht: sind die primär oder sekundär?

LG Daniel

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Jürgen Baldinger
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Jürgen Baldinger » Donnerstag 22. Juli 2021, 07:22

Vegetationskarten zufolge dürfte im Osten Rumäniens die Zone der primären Steppen beginnen.

Ich versuche, es positiv zu sehen: Immerhin sinkt neben anderen Luftbelastungen auch der Stickoxide-Gehalt, wenn auch langsamer als andere Schadstoffe; vielleicht beschleunigt sich dieser Rückgang mit der zunehmenden Elektrifizierung von Kraftfahrzeugen.
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Re: Gedankenexperiment Versteppung

Beitragvon Scotiella » Sonntag 25. Juli 2021, 23:44

Ja, das ist auch meine langfristige Hoffnung für Magerwiesen in der Nähe von Ballungsräumen, dass SCR-Kats, E-Autos und weniger Hausbrand die Imissionen drastisch sinken lässt. :-)


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