Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beispielsweise Lokalfloren, Taxonomie, Sippen- und Gebietsdiskussionen, Fachexkursionen
fribir
Beiträge: 13
Registriert: Sonntag 10. Juni 2018, 15:48

Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon fribir » Donnerstag 24. Februar 2022, 17:30

Gute Tag!

Im Wienerwald gibt es, nach meinen Beobachtungen, keine Schneerosen (Helleborus niger) und zwar auch im Kalkstein-Wienerwald nicht, etwa in den Föhrenbergen südlich von Kaltenleutgeben, wo sie sich eigentlich wohlfühlen müssten.
An der Höhe kann es nicht liegen, immerhin erreicht der Höllenstein 645m; weiter westlich, etwa in St. Aegyd am Neuwalde (588m) wachsen sie reichlch.
Wie kommt es zu solchen, für den Laien kaum verständlichen, Unterschieden in der Verbreitung in eigentlich sehr nahe beeinander liegenden Gebieten?

Mit freundlichen Grüßen
Friedrich Birkhan

kurt nadler
Beiträge: 3809
Registriert: Samstag 10. November 2018, 13:26
Wohnort: prellenkirchen,breitenbrunn,wien
Kontaktdaten:

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon kurt nadler » Donnerstag 24. Februar 2022, 20:36

es gibt befugtere, dies zu beantworten. ich bin ein nicht-gebietskenner.
du scheinst aber absolut recht zu haben: der unveröffentlichte verbreitungsatlasentwurf zeigt den wienerwald schneerosenfrei, sofern man die thermenlinie exkludiert. da gehen sie weiter nördlich als im bergland drin. gerds helleborus niger-gebiet geht wohl auch nicht bis in den inneren kalkwienerwald.

Gerd4126
Beiträge: 490
Registriert: Freitag 7. April 2017, 11:25

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon Gerd4126 » Freitag 25. Februar 2022, 12:58

Hallo Friedrich,

Zu deiner Anfrage kann ich nur aus eigenen Beobachtungen berichten, also die nördliche Verbreitungsgrenze der Helleborus niger stellt die Triesting dar, dh. auf der Wienerwaldseite sind mir nur kleine lokale Vorkommen bisher untergekommen, so im Waldgebiet des Peilsteins im Triestingtal- das könnte ein natürliches Vorkommen sein, ebenso auf der Nordseite des Lingkogeln zum Helental runter ( da hab ich Bilder gesehen, war aber noch nicht dort). Weiter mir bekannte Vorkommen wie einzelne nahe der Vöslauerhütte, und Umgebung der Anton Proksch Hütte halte ich für angesalbt. Weiter nördliche beschriebene Vorkommen entlang der Föhrenwälder der Thermenlinie habe ich noch nicht besucht, Ansalbung halte ich aber auch für wahrscheinlich.

Somit kenne ich bis dato nur 2 kleine Außenposten nördlich der Triesting die einen natürlichen Ursprung haben können.
Dein erwähntes Gebiet St. Aegyd im Neuwalde liegt ja weit weg im Voralpengebiet der Nördlichen Kalkalpen - da sind sie zuhause- hänge ein altes Bild einer Verbreitungskarte an und eines vom Peilsteinvorkommen.

liebe Grüße, Gerd
Dateianhänge
Helleborus niger Verbreitung.jpg
Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0
Helleborus niger Verbreitung.jpg (510.75 KiB) 3073 mal betrachtet
03-24-2015 (6).JPG
Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0
03-24-2015 (6).JPG (283.98 KiB) 3073 mal betrachtet

Benutzeravatar
Hermann Falkner
Beiträge: 1791
Registriert: Sonntag 23. Oktober 2016, 20:16
Wohnort: Wien

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon Hermann Falkner » Samstag 26. Februar 2022, 12:13

Es liegt jedenfalls nicht daran, dass sie nicht wachsen würden - sie verwildern auch nördlich der Triesting durchaus aus Kultur, sofern es einen geeigneten Standort gibt.
Es könnte aber sein, dass der Wienerwald überwiegend zu trocken ist für die Schneerose - dh dass es im Wienerwald selbst nur wenige geeignete Standorte gibt; es gibt zwar sicher keine exakt des Triestingtails verlaufende Niederschlagsgrenze, die für Helleborus niger limitierend wäre, aber die Schatthänge = Südseite des Triestingtals ist sicher feuchter als die Sonnseite = Nordseite, und da das Tal in Ost-West-Richtugn verläuft (und die Niederschlagslinien ganz grob gesprochen ebenso), könnte das Triestingtal sehr wohl eine effektive lokalklimatische Barriere darstellen, die Helleborus niger nicht so ohne weiteres überwinden kann - die Art wächst aber nördlich der Linie selbstverständlich, wie wir wissen, sofern der Standort passt.

Aber das ist natürlich nur eine reine Spekulation.

Ebensogut möglich wäre, dass das einfach eine historische Arealgrenze ist, die gar nix mit den heutigen klimatischen Verhältnissen zu tun hat (bzw. dass die heutigen Verhältnisse bestenfalls eine Ausbreitungsbarriere darstellen) - sondern vielleicht mit den Eiszeiten, oder mit Ereignissen lange vor den Eiszeiten.
Vielleicht lässt sich die Frage nie (bzw. nie mit Sicherheit) beantworten, aber jedenfalls müsste man sich für eine seriöse Beantwortung sicher in das Thema vertiefen und alle möglichen Erklärungen nachprüfen und soweit als möglich zu verifizieren bzw. falsifizieren versuchen.

Solche arealkundliche Fragen stellen sich für viele Arten, und viele sind bis heute unbeantwortet oder bestenfalls hypothetisch erklärbar, so etwa bei Cyclamen purpurascens, Scilla sp., etc. etc.

Benutzeravatar
2045
Beiträge: 971
Registriert: Donnerstag 20. Oktober 2016, 19:05
Wohnort: NÖ, Breitenfurt
Kontaktdaten:

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon 2045 » Samstag 26. Februar 2022, 17:00

Ich bin weder Botaniker noch Klimaexperte, kann somit diese Fragestellung definitiv nicht wissenschaftlich erklären.
Nachdem ich aber öfters im Jahr in dem Bereich unterwegs bin, einige Anmerkungen.
Aus der Praxis glaube ich , das ein alleiniger Höhenvergleich - Höllenstein 645m; - in St. Aegyd am Neuwalde (588m) etwas zu gering betrachtet ist.
Höllenstein ist mit 645 m der höchste Punkt, dann kommt nicht mehr viel höheres in der Gegend, St.Aegyd ist mit 588 der tiefste Punkt, und dort geht es in unmittelbarer Nähe noch weit hinauf.
Wenn ich bei mir im (zentraleren, nicht im pannonisch geprägten Thermenlinienrand) Wienerwald mit 320 m Seehöhe ins Auto steige und nach 1:15 in St.Aegyd aussteigen, was mehrmals im Jahr stattfindet, bin ich dort in einem völlig anderen "Klima"
Selbst im nahezu gleich hohen Lilienfeld (370m) ist es schon spürbar anders nach 1 Stunde Fahrzeit als bei mir zu Hause im Wienerwald. Dort ist aber auch gleich in 2,5 Kilometer Luftlinie der 1248 m Muckenkogel.
Zusätzlich noch die Schneelage und damit Winterfeuchtigkeit, alles in allem ein völlig anderes Mikroklima als bei uns im Wienerwald.

Helleborus niger gibt es bei uns im Garten seit rund 20 Jahren, aber erst seit einigen wenigen Jahren gibt es jetzt sichtbare Ausbreitungen und endlich mehr als nur einzelne Blüten. Also wirklich wohl fühlt sich die Art bei uns im Garten offenbar nicht, obwohl im Schatten von mehreren großen Fichten.
LG Markus

kurt nadler
Beiträge: 3809
Registriert: Samstag 10. November 2018, 13:26
Wohnort: prellenkirchen,breitenbrunn,wien
Kontaktdaten:

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon kurt nadler » Sonntag 27. Februar 2022, 10:02

danke euch. als ökologe "genieße" und beherzige ich eure diesbezüglichen kommentare.

Gerd4126
Beiträge: 490
Registriert: Freitag 7. April 2017, 11:25

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon Gerd4126 » Sonntag 27. Februar 2022, 10:44

Die klimatischen Unterschiede des Verbreitungsgebietes im Voralpengebiet gegenüber dem Wienerwald wurden ja von Hermann und Markus anschaulich beschrieben. Ich glaube auch das die Feuchtigkeit und Temperatur ein wesentliches Kriterium für den Standort ist und weniger die Höhe.
Vielleicht noch eine Anmerkung zur Höhenverbreitung :
Die östlichsten Vorkommen in engen Seitentälern des Triestingtales steigen nordwestseitig bis in Tallagen runter auf 370 m SH, selbstverständlich in bewaldeten schattigen Mischwaldlagen.

Benutzeravatar
Norbert Sauberer
Beiträge: 636
Registriert: Samstag 1. April 2017, 21:22

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon Norbert Sauberer » Sonntag 27. Februar 2022, 14:13

Es gibt eine brandaktuelle genetische Studie über Helleborus niger: https://www.frontiersin.org/articles/10 ... 83043/full

Resümee: Helleborus niger hat sich in den nordöstlichen Kalkalpen schon vor der letzten Eiszeit angesiedelt und hat hier wohl sehr lokal in lichten Lärchen-Föhren-Wäldern überlebt. Nach dem Ende der letzten Eiszeit hat sie sich dann ausgebreitet, aber als Art mit großen schweren Samen, die offensichtlich nicht von Tieren über größere Strecken transportiert werden, hat sie das mögliche Areal wegen der Langsamkeit der Ausbreitung nicht auffüllen können.

Drei Zitate aus dem Artikel:

1) "We suggest, therefore, that H. niger survived the LGM in open coniferous forests at the southern and northeastern margin of the Alps as well as in the northwestern Balkan Peninsula. Being a slow migrator, the species has likely survived repeated glacial-interglacial circles in distributional stasis while the composition of the tree canopy changed in the meanwhile."

2) "Being a slow migrator, the species has likely survived repeated glacial-interglacial circles in distributional stasis while the composition of the tree canopy changed in the meanwhile."

3) "Whereas the western range margin in the Southern Limestone Alps is likely imposed by unsuitable siliceous bedrock (Froitzheim et al., 2008), range margins in the Northern Limestone Alps and the Dinaric Mountains are difficult to explain as no obvious geologic or topographic barriers are evident there. In addition, beech forests, the main habitat of H. niger, extend far beyond the species’ distribution area (Willner et al., 2009; Ellenberg and Leuschner, 2010). This strongly suggests incomplete range filling (Svenning and Skov, 2004; Willner et al., 2009; Dullinger et al., 2012a) as expected for a large-seeded species lacking adaptations to efficient vectors for dispersal over long distances and, hence, slow migration (Klotz et al., 2002)."

Benutzeravatar
Norbert Sauberer
Beiträge: 636
Registriert: Samstag 1. April 2017, 21:22

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon Norbert Sauberer » Sonntag 27. Februar 2022, 14:19

Es gibt aber außerhalb des Areals ein paar eindeutig von Menschen eingebrachte, also angesalbte Vorkommen ....

Benutzeravatar
Norbert Sauberer
Beiträge: 636
Registriert: Samstag 1. April 2017, 21:22

Re: Warum gibt es im Wienerwald keine Schneerosen?

Beitragvon Norbert Sauberer » Sonntag 27. Februar 2022, 14:43

Norbert Sauberer hat geschrieben:Es gibt eine brandaktuelle genetische Studie über Helleborus niger: https://www.frontiersin.org/articles/10 ... 83043/full

Resümee: Helleborus niger hat sich in den nordöstlichen Kalkalpen schon vor der letzten Eiszeit angesiedelt und hat hier wohl sehr lokal in lichten Lärchen-Föhren-Wäldern überlebt. Nach dem Ende der letzten Eiszeit hat sie sich dann ausgebreitet, aber als Art mit großen schweren Samen, die offensichtlich nicht von Tieren über größere Strecken transportiert werden, hat sie das mögliche Areal wegen der Langsamkeit der Ausbreitung nicht auffüllen können.

Zwei Zitate aus dem Artikel:

1) "We suggest, therefore, that H. niger survived the LGM in open coniferous forests at the southern and northeastern margin of the Alps as well as in the northwestern Balkan Peninsula. Being a slow migrator, the species has likely survived repeated glacial-interglacial circles in distributional stasis while the composition of the tree canopy changed in the meanwhile."

2) "Whereas the western range margin in the Southern Limestone Alps is likely imposed by unsuitable siliceous bedrock (Froitzheim et al., 2008), range margins in the Northern Limestone Alps and the Dinaric Mountains are difficult to explain as no obvious geologic or topographic barriers are evident there. In addition, beech forests, the main habitat of H. niger, extend far beyond the species’ distribution area (Willner et al., 2009; Ellenberg and Leuschner, 2010). This strongly suggests incomplete range filling (Svenning and Skov, 2004; Willner et al., 2009; Dullinger et al., 2012a) as expected for a large-seeded species lacking adaptations to efficient vectors for dispersal over long distances and, hence, slow migration (Klotz et al., 2002)."


Zurück zu „Konkrete botanische Themen“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 22 Gäste