Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

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Jürgen Baldinger
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Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Jürgen Baldinger » Dienstag 28. April 2020, 16:49

Fruchtstiel keulig verdickt, (...) führt bei Buglossoides incrassata nach den Korrekturen zur 3. Auflage in der Neilreichia 6 zu subsp. splitgerberi, in der 3. Auflage führte dieses Merkmal zu subsp. incrassata.

Fruchtstiel zylindrisch verdickt, (...), den Korrekturen zufolge nun subsp. incrassata, war in der EföLS 3 bis dahin subsp. leithneri.

Von taxonomischen Verbesserungen abgesehen, lag da also ursprünglich auch eine nomenklatorische Verwirrung vor?
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Hermann Falkner
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Re: Buglossoides incrassata senu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Hermann Falkner » Mittwoch 29. April 2020, 15:47

Jürgen, dazu hat es im WS 2011/12 ein Vereinsseminar gegeben, und ich hab auch noch die Mitschrift! (Ohne Datum, nur mit Semesterangabe)
Vortragende war Elke Zippel.
Den Beitrag in der Neilreichia 6 hab ich auf die Schnelle nicht gefunden, wo versteckt sich der? - Ich kann gern versuchen, Fragen durch meine Mitschrift zu beantworten, wobei die ganz sicher nicht vollständig ist und ich vielleicht auch das eine oder andre falsch interpretiert oder womöglich sogar falsch mitgeschrieben habe ;-) - ich fasse halt mal zusammen, was ich notiert habe (sehr viel mehr als das kann ich leider zu dieser Artengruppe auch nicht sagen; ich hab mir zwar vorgenommen, die Buglossoides-arvensis-Gruppe näher anzusehen, bis dato hab ich das aber immer noch nicht geschafft ;-):

Ganz konkret zu arvensis vs. incrassata:

> arvensis sei eher eine segetale Art und im pannonischen Raum gar nicht so häufig, bei uns in Ostösterreich wäre incrassata die häufigere Art; der Fruchtstiel soll bei arvensis ziemlich regelmässig und symmetrisch sein, die Klausen fallen bei der Fruchtreife auch relativ leicht und rasch aus, was eine typische Anpassung an das (segetale) Habitat ist; der Habitus soll bei arvensis eher aufsteigend sein

> incrassata dagegen sei eher eine Trockenrasenart; der Fruchtstiel ist deutlich asymmentrisch, mit einem gut sichtbaren Höcker; die Klausen sind durch die Form des Fruchtstiels +/- "eingezwickt" und fallen nicht alle auf einmal aus, sondern über einen längeren Zeitraum (so, wie bei den klassischen "Winterstehern" = Fruchtstände, die ihre Früchte über einen längeren Zeitraum verteilt aussäen), auch hier eine Anpassung an das (üblicherweise nicht-segetale) Habitat; im Habitus soll incrassata eher niederliegend sein

Elke Zippel hat die Taxa auch genetisch untersucht und dabei festgestellt, dass arvensis und incrassata, trotz der grossen äusserlichen Ähnlichkeit, genetisch relativ stark verschieden sind und diese genetischen Merkmale auch ziemlich konstant vorhanden sind.
Allerdings sei der genetische Unterschied bei den mitteleuropäischen Populationen nicht so typisch ausgeprägt wie bei Populationen aus dem Mittelmeerraum. Bei unseren Populationen sind nach ihr die genannten Merkmale bei den untersten Blüten am besten ausgeprägt - und zwar in Vollreife.

Auch bei den Keimblättern hat sie deutliche Unterschiede festgestellt: schwach ausgeprägte Nervatur und rundlicher bei incrassata, versus sehr gut ausgeprägten Seitennerven und eher längliche, kaum rundliche Blätter bei arvensis. "Mitteleuropäische" incrassata-Keimblätter seien tendentiell grösser als "Mittelmeer"-incrassata-Keimblätter.
Die Blütenfarbe sei bei arvensis immer weiss; bei incrassata entweder blau oder weiss (nur ganz selten Zwischentöne). Eine "blaublütige" incrassata-Population soll es am Hackelsberg bei Jois geben, ansonsten sind blaue Blüten bei uns sehr selten.

Schliesslich sollen die Klausen bei arvensis sehr spitz sein, aussedem auch grösser; bei incrassata sollten sie stärker rundlich-birnenförmig wein - das ist allerdings kein sehr konstantes Merkmal, hab ich mir notiert.

Von der geographischen Verbreitung her ist arvensis eher mittel- bis westeuropäisch, incrassata dagegen sehr weit verbreitet, in folgenden Formen:
- tenuiflora = Südwesteuropa
- splitgerberi = von Südosteuropa bis weit nach Nordeuropa hinauf; auch die bei uns vorkommende incrassata gehört hierher
- permixta = Frankreich, Marokko
- und incrassata s. str. = nur im südöstlichen Mittelmeer, weiter nördlich nicht
(BTW, notiert hab ich mir diese Taxa auf subspecies-Level, hiesse also B. arvensis vs. B. incrassata mit B. incrassata subsp. splitgerberi etc. - aber ob sie das auch so vorgetragen hat, dafür möchte ich mich nicht verbürgen ;-)

Die Frucht incl. Fruchtstiel ist jedenfalls das wichtigste Unterscheidungsmerkmal, ohne reife Früchte sei es oft gar nicht so leicht, arvensis und incrassata zu unterscheiden, insbes. bei mitteleuropäischen Individuen mit nicht so gut ausgeprägten Merkmalen (siehe oben).
Im Mittelmeerraum fallen bei reifen incrassata anfangs meist gar keine Früchte aus, bei den mitteleuropäischen Populationen dagegen meist schon, und hier zwar die äusseren, während die inneren länger im Fruchtstand bleiben - bei arvensis fallen sie dagegen sofort aus: in diesem Zustand (also Vollreife Früchte) sollte die Unterscheidung also am leichtesten sein.
Übrigens sollen ausserrdem die Samen bei arvensis nur relativ kurze Zeit keimfähig sein, bei incrassata dagegen vermutlich viel länger (genau so hab ich mir das mitnotiert!), also auch eine Anpassung an das jeweilige Habitat.

Zweitbester Zustand für die Bestimmung ist übrigens nicht die blühende Pflanze, sondern die Keimblätter! - In blühendem Zustand, meint sie, sei eine wirklich sichere Bestimmung kaum möglich.

Belege in Österreich: in Westösterreich ist incrassata sehr viel seltener, in Ostösterreich sind beide Arten verbreitet, incrassata insbes. aber in Ostösterreich viel häufiger, wie schon erwähnt.
Wenn man die Arten selbst säen will, um sie in Kultur zu beobachten, empfiehlt sie übrigens Aussat im Herbst, da keimen sie viel besser, im Frühjahr geht aber auch, und das funktioniert sogar im Balkonkistl recht gut.

Ausserrdem mitnotiert habe ich - incrassata kann sich möglicherweise auf Wintergetreideäckern doch auch gut behaupten; arvensis sei dagegen typisch für Sommergetreide und Hackfrucht-Äcker.

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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Jürgen Baldinger » Mittwoch 29. April 2020, 20:22

Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort, Hermann. Und liegt im EföLS-Schlüssel von B. incrassata eine Verwechslung bei den Unterarten vor?
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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Stefan Lefnaer » Mittwoch 29. April 2020, 20:53

So wie ich MAF einmal verstanden habe, waren versehentlich die Merkmale als auch die Namen der UArten falsch angegeben worden.

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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Jürgen Baldinger » Mittwoch 29. April 2020, 22:01

Aha, danke.
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Hermann Falkner
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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Hermann Falkner » Sonntag 3. Mai 2020, 14:58

Weil mir grad eine Buglossoides arvensis untergekommen ist (ich glaub - hier ganz eindeutig), mit schon junger Frucht: hier sieht man, glaub ich, das "Fruchtbecher-Merkmal" schon ganz gut (mit weissem Pfeil angezeigt): schön regelmässig, kein "Buckel", und man sieht den Früchten fast an, dass sie reif kaum "eingezwickt" sind und sehr leicht ausfallen werden.
>>> korrigiert Stefan siehe unten: es ist B. incrassata!

Bei B. incrassata sollte hier ein Buckel vorhanden sein, der den Fruchtbecher asymmetrisch macht. In diesem "Reifezustand" ist also vielleicht auch schon eine relativ zuverlässige Unterscheidung möglich. - Standort hier war übrigens segetal, Gemeinde Ladendorf, Bezirk Mistelbach.
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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Stefan Lefnaer » Sonntag 3. Mai 2020, 17:40

Das auf den Fotos ist sicher B. incrassata. Man sieht eindeutig, dass die Fruchtstiele verdickt sind und die Blütenböden schief zum Fruchtstiel (d.h. normal zum Stängel) stehen. Im Weinviertel ist mir B. arvensis auch noch nie untergekommen. Laut Prof. Gutermann gibt es die Art erst weiter westlich.

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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Hermann Falkner » Sonntag 3. Mai 2020, 18:49

Ah interessant, so kann man sich täuschen! - Danke!! (hab den Text oben gleich gelassen und nur eine Korrektur hinzugefügt ;-)

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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Hermann Falkner » Mittwoch 6. Mai 2020, 19:02

Nur nochmals zum Fruchtbecher-Merkmal bei B. incrassata - Stefan:
Es geht hier um die Neigung des Fruchtbechers (entlang des weissen Striches), dh geneigt relativ zum Fruchtstengel, und hier auf diesem Bild in einem leicht stumpfen Winkel (also knapp über 90°) zum Stengel? (und - das ist ja wohl incrassata? - von diesem Acker in Grossenzersdorf)

Nur, damit ich das dann vielleicht auch einmal behirne ;-)
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Re: Buglossoides incrassata sensu emend. Neilreichia 6

Beitragvon Stefan Lefnaer » Mittwoch 6. Mai 2020, 20:25

Ja, genau. Die weiße Strecke steht da normal zur Blütenstandsachse. Bei B. arvensis soll sie normal zum Blütenstiel stehen.


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