Zitat von Stefan Lefnaer:
... da niemand so genau sagen kann, wie sich die Sippen abgrenzen lassen und v.a., ob es sich tatsächlich um getrennte Arten handelt.
Wer will das auch entscheiden ? Das sind doch eher "Glaubensfragen". Entweder man sieht relativ feine Unterschiede und versucht die zu beschreiben, oder man zieht sich auf wenige 'Basis-Typen' zurück und ignoriert die Unterschiede, die einem unwesentlich erscheinen. Wie bei den Orchideen, wo die 'Splitter' jeder griechischen Insel und jedem Berg in Griechenland eine oder mehrere eigene Spinnen- und Hummelragwurz-Arten zubilligen, während die 'Lumper' die eher geringen Unterschiede ignorieren, und, jetzt mal etwas übertrieben, von nur EINER Spinnen- und EINER Hummelragwurz ausgehen. Oder wie bei den Habichtskräutern, wo man wie der Herr Gottschlich 400 Sippen unterscheiden kann, oder eben sich auf etwa 10 Basis-Arten zurückziehen kann. Beides sind Extreme. Aber da es die menschliche Natur ist, dass sie zu immer feinerer Unterteilung strebt, geht die Tendenz auf Dauer zum 'Splitting'. Was sich dann auf Dauer durchsetzt, entscheiden die Autoren zukünftiger botanischer Werke, die sich entweder für die 'Splitter'- oder die 'Lumper'-Benennung entscheiden werden. Bei den Ophrys, mit denen ich mit der Botanik angefangen habe, konnte ich das hin und her seit fast 40 Jahren verfolgen.
Ich gehe davon aus, dass der Wenzel (Vaclav) Spitzner sich was dabei gedacht hat, als er 1892 die 'moravica' aus Mähren als Varietät der 'C. rotundifolia' beschrieb in 'Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brünn' Band 31, Seiten 193-194. Die Beschreibung ist im Internet unter
https://www.biodiversitylibrary.org/page/43908541#page/251/mode/1up zu finden und lautet:
Campanula rotundifolia L. var. moravica mihi. Eine der var. tenuifolia Tausch nahe stehende Varietät. Die Blätter sind meist nur in der Mitte des Stengels angehäuft, steif, nicht schlaff, schmal lineal, am Rande schwach umgerollt, die unteren zur Blütezeit bereits abgestorben, die obersten kaum 1 cm lang, während die mittleren eine Länge von 4 cm erreichen. Die bis 5 dcm Höhe erreichende steife Pflanze ist eine Form der trockenen sonnigen Lagen. Auf einer sonnigen Anhöhe zwischen Deditz und Raclawitz nächst Wischau. Die tenuifolia Tausch wächst auch hier, jedoch in den Tälern des Plateaus. Ihre Blätter sind alle gleich lang, schlaff; die ganze Pflanze ist niedriger als die var. moravica, bei der auch der Blüthenstand reicher und die Blüthen dunkler sind.
Diese Beschreibung der Statur, Blätter und Blüten einer Sippe aus Mähren paßt sehr gut auch für die Campanula der Magerwiese vom Bisamberg. Die Pflanzenhöhe ist größer als die einer durchschnittlichen süddeutschen Campanula rotundifolia, deren Höhe in älterer Literatur mit 30 bis 40 cm angegeben wurde, erst in neuerer Literatur wird 60 cm in Klammern dazu gefügt. Auch die Statur unterscheidet sich.
Spitzner erwähnt in seiner Beschreibung aber nicht das übermäßig kräftige Rhizom, das die 'moravica' am Bisamberg bzw in der Umgebung von Wien besitzt. Ob das kräftige Rhizom bei den Populationen in Mähren, Rumänien und Ungarn auch vorhanden ist, habe ich nicht herausgekriegt. Das Rhizom von Pflanzen aus der Umgebung von Wien ist auf einem Foto von A.Mrkvicka in 'Botanik im Bild' und in Thomas Meyers 'Mittelmeerflora' zu sehen. Wobei ich, wenn ich mal wieder eine normale Campanula rotundifolia in Süddeutschland sehe, nachschauen will, wie kräftig deren Rhizom im Vergleich dazu ist. Für aktuelle Literatur einschließlich EfÖLS 2008 ist das Rhizom jedenfalls ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der moravica oder zumindest deren subsp. xylorrhiza.
Dass die moravica am Bisamberg in der Unterart 'xylorrhiza' auftritt, was 'mit verholzter Wurzel' heißt, wird neben in EfÖLS 2008 auch schon zum Teil in Rolf Marschners o.g. Beiträgen erwähnt, beides entstand mehrere Jahre vor dem von Lautaro erwähnten Buch. Diese Benennung als 'subsp. xylorrhiza' stammt ursprünglich von Otto Karl Anton Schwarz (1900-1983) aus Thüringen, ihr Basinonym ist Campanula rotundifolia subsp. xylorrhiza O.Schwarz 1949 für die Bisamberg-Population der Campanula rotundifolia var. moravica. Dass die Wurzel verholzt ist, kommt danach nur am Bisamberg vor, nicht bei den moravica-Populationen in Mähren.
Ich habe die Campanula moravica mit Fragezeichen in meine Internetseite aufgenommen, mit einer länglichen Erklärung einschließlich der Zitierung der obigen Erstbeschreibung.