Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

= Blütenpflanzen
thomas zimmermann
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Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon thomas zimmermann » Freitag 5. Juni 2020, 23:00

Geschätzes Forum,

Frau Henrike Herenda aus Wien hat in einem Moor am Weissensee in Kärnten folgende Pflanze fotografiert und auf Facebook geposted, die ich hier mit ihrem Einverständnis einstellen darf. Sie schreibt dazu:

"Kann mir bitte wer helfen (...) und sagen, was das für eine Pflanze ist. Gefunden hab' ich sie am Weissensee im sumpfigen Gebiet quasi neben dem Fieberklee. Laubblätter konnte ich nicht entdecken und auch nicht -wie- sie bestäubt werden könnte - ein Mirakel :-) Jedenfalls ist sie relativ groß (siehe "Handvergleich") und ich hab' nur diese 3 Exemplare gefunden und das das erste Mal, obwohl ich jeden Frühling und Sommer (Winter sowieso) am See bin (...) Ergänzend muss ich noch sagen, dass die "Blase" elastisch ist und sich (zart) eindrücken lässt. Erst hab' ich ja an einen Gartenflüchling gedacht, nur ist dort weit und breit kein Garten sondern nur landwirtschaftl. unbrauchbares Gebiet"

Einer der User, Walter Sinkovc, hat die Pflanze daraufhin als Sarracenia identifiziert. Kurze Internetrecherche ließ mich an Sarracenia flava, Gelbe Schlauchpflanze, denken, deren natürliche Herkunft die Sumpfgebiete im Südosten der USA sind. Wie ich mir habe sagen lassen, kann diese Pflanze am Gartenteich (zugedeckt) überwintern.

Was meint ihr, ist das diese Pflanze, und wenn ja, kann das eine Auswilderung sein oder muss man hier nicht eher von einer Ansalbung ausgehen? Wurde diese Art bei uns schon einmal beobachtet? Und ist es tatsächlich vorstellbar, dass diese Pflanze, immerhin an einem unserer heimischen Kältepole, über den Winter kommt?

Herzliche Grüße, Thomas
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Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0. Bild: Henrike Herenda, Wien
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thomas zimmermann
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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon thomas zimmermann » Freitag 5. Juni 2020, 23:59

also tatsächlich winterhart. ein potenzieller neophyt?

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Norbert Griebl
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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon Norbert Griebl » Samstag 6. Juni 2020, 07:36

Servus Thomas,

ein sehr interessanter Fund. Wahrscheinlich geht der Fund auf eine absichtliche Ansalbung zurück, wie man das bei den Schlauchpflanzen schon mehrfach beobachten musste. Angesalbt finden sich weitere Sarracenia-Sippen im Gebiet (ADLASSNIG & al. 2010). So etwa eine einzelne Pflanze von Sarracenia flava und S. alata cf. im Ibmer Moos in Oberösterreich. Sarracenia leucophylla × S. cf. rubra konnte in einem Übergangsmoor im Oberen Weilhartforst bei Geretsberg in Oberösterreich gefunden werden (STÖHR & al. 2007). Eine cf. Purpur-Schlauchpflanze wurde 1980 im Kleckermoos in Niederösterreich ausgepflanzt. Diese ist noch am Leben, breitet sich aber nicht aus. Weiters beim Grünen See im Hochschwab-Gebiet in der Steiermark und wahrscheinlich auch hier angesalbt (STÖHR & al. 2007).

LG Norbert

Quellen:
ADLASSNIG W., MAYER E., PEROUTKA M., POIS W. & LICHTSCHEIDL K. (2010): Two American Sarracenia species as neophyta in -Central Europe. Phyton 49: 279-292.
STÖHR O., PILSL P., ESSL F., HOHLA M. & C. SCHRÖCK (2007): Beiträge zur Flora von Österreich, II. — Linzer biol. Beitr. 39/1: 155–292.
Je größer ein Mensch ist, desto mehr neigt er dazu, sich vor einer Blume niederzuknien

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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon kurt nadler » Samstag 6. Juni 2020, 08:02

die ungestörte vegetationsnarbe lässt auf einen stand dort von jedenfalls >>1 jahr schließen.
interessant wäre noch - grundsätzlich für jedes fundfoto - ein bilderstellungsdatum.
natürlich sprengt das den rahmen: aber bei so interessanten funden würde man gerne auch was über die begleitvegetation oder die biotopausprägung erfahren - für mich persönlich wäre ein rauszoom-überblicksbild schon recht erhellend.

thomas zimmermann
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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon thomas zimmermann » Sonntag 7. Juni 2020, 22:11

vielen dank norbert für deine ausführungen! deine umfassende literaturkenntnis versetzt mich jedes mal in staunen. der beitrag von adlassnig et al. ist sehr informativ, wobei ein südösterreichisches vorkommen 2010 offenbar noch nicht bekannt war.

was leute - oliver und seine mitautoren schreiben von "carnivoren-liebhabern" - dazu bewegt, solche pflanzen auszusetzen, stellt mich vor ein rätsel. sind das extreme pflanzenliebhaber, die ihrer pflanze etwas gutes tun wollen, indem sie sie in die freiheit entlassen? wollen sie austesten, ob ihr hobby auch "in echt" funktioniert, ob sie mit ihrer gärnterischen kunst auch die natur meistern? ist das so was wie seine initialen in die rinde eines baumes zu schnitzen, um eine spur von sich zu hinterlassen? fragen über fragen...

ein fundortbild wäre natürlich schön - ich glaube, frau herenda liest hier mit und kann das vielleicht noch nachliefern. aber sie ist keine botanikerin, also wird sie über die art des moores wenig auskunft geben können. vielleicht gelingt es mir ja, eine/n kärntner botaniker/in darauf anzusetzen.

schöne grüße, thomas

Oliver Stöhr
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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon Oliver Stöhr » Sonntag 7. Juni 2020, 23:02

Hallo Thomas!
Ich hätte von Lienz zum Weißensee nur rd. eine halbe Stunde Autofahrt und könnte ev nächstes Wochenende hinfahren. Aber dazu müsste ich wissen, wo genau der Fundort ist denn am Weißensee gibt es mehrere Moore ;-)
Viele Grüße
Oliver

thomas zimmermann
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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon thomas zimmermann » Montag 8. Juni 2020, 09:21

ahoi oliver,
ich werde frau herenda um ihre kontaktdaten bitten, damit du sie anrufen kannst. ich glaube, sie ist momentan sogar unten, also kann sie dir die stelle vielleicht sogar persönlich zeigen.
beste grüße, thomas

Oliver Stöhr
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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon Oliver Stöhr » Montag 8. Juni 2020, 20:02

Hallo Thomas,
danke, Begehung Ende dieser Woche ist schon arrangiert, melde mich dann mit Fotos und Text wieder ...
Viele Grüße
Oliver

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Re: Sarracenia cf. flava am Weissensee !?

Beitragvon Oliver Stöhr » Donnerstag 11. Juni 2020, 20:13

Lieber Thomas,
wertes Forum!

Heute waren Frau Henrike Herenda, meine Familie und ich am Weissensee, um nach der Sarracenia Ausschau zu halten. Hier ein kurzer Status- bzw. Lagebericht samt Fotos.

Die Pflanze konnte heute als Einzelindividuum nach wie vor beobachtet werden, es sind nun drei geöffnete Blüten sowie zwei Blütenknospen zu sehen; die Bütezeit wird sich also noch weiter in den Juni hineinstrecken. Zudem sind nun auch schon junge Blätter zu sehen, die aber noch gefaltet, d.h. noch nicht "tütenförmig" geöffnet sind und demnach noch nicht als Tierfalle funktionieren. Hier ein Habitusfoto des aktuellen Zustandes sowie ein Bild der jungen Blätter:
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Die Pflanze wächst voll besonnt wenige Meter vom Seeufer entfernt in einem nassen Großseggenried, das wohl ehemals zur Streunutzung gemäht worden ist (keine Verbultung). An Begleitarten konnten u.a. Carex appropinquata (dom.), Carex elata (dom.), Menyanthes trifoliata, Salix repens ssp. rosmarinifolia und Potentilla palustris bebachtet werden; wenige Meter entfernt wachsen am Seeufer Phragmites australis, Thelypteris palustris, Frangula alnus, Betula pubescens s.l. und Cladium mariscus. Der Wuchsort ist über einen kurzen und schmalen zum See führenden Treppelweg, der offenbar von Fischern genutzt wird, leicht erreichbar. Hier zwei Überblickfotos zur standörtlichen Situation:
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Auf dem folgenden Foto sieht man, dass die Pflanze heuer offenbar nicht angesalbt (eingegraben) wurde, zumal keine Grabungsspuren zu sehen und auch alte Blätter, die ganz offensichtlich aus dem Vorjahr stammen, vorhanden sind. Diese alten, ca. 30 cm langen Blätter liegen (schneedruckbedingt) am Boden und sind bräunlich gefärbt:
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Auf dem nächsten Bild ist noch das Blattende mit dem "Deckel" der alten Blätter erkennbar:
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Dann das AHA-Erlebnis, denn beim Öffnen der alten Blattschläuche bzw. "Fallen" zeigte sich ganze Insektenfriedhöfe, die die Effizienz dieser "Carnivoren" belegen: Die alten Blätter sind prall gefüllt mit Chitin- und Flügelresten von Insekten (v.a. Käfer):
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Abschließend noch ein Einblick in die Blüten und ein Bild mit den möglichen potenziellen Bestäubern (Mücken, Fliegen, kleine Käfer) auf den Blüten der Pflanze. Die Blüten riechen/stinken übrigens tatsächlich nach Katzenurin, wie für Sarracenia flava in der Literatur angeführt:
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Fazit:
1) Meiner Ansicht nach handelt es sich um eine Ansalbung, die jedoch nicht heuer vorgenommen wurde - ein Indiz dafür sind alten, liegenden und "insektengefüllten" Blätter. Das heißt, die Pflanze hat zumindest schon einen Winter auf rd. 950 msm am Weissensee überstanden.
2) Die Vitalität der Pflanze lässt vermuten, dass sich die Art an diesem Standort wohlfühlt, so dass sie ev. weitere Winter überleben könnte. Ob keimfähige Samen gebildet werden können, bleibt weiter zu beobachten.
3) "Bestimmungstechnisch" denke ich auch, dass sich hier Sarracenia flava handelt; dafür sprechen die Blüten und deren Katzenurin-Geruch.

Ich werde vorauss. im Sommer nochmals die Pflanze aufsuchen, um dann die Blätter zu dokumentieren. In jedem Fall ist das Vorkommen interessant und belegt, dass selbst solche exotische Pflanzen sich bei uns - zumindest eine Zeit lang - halten können.
Danke an Frau Herenda für die Mitteilung und die heutige Führung zum Wuchsort!

Viele Grüße
Oliver

P.S.: Hier noch weiterführende Links zum Thema:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gelbe_Schlauchpflanze
https://www.youtube.com/watch?v=h1QDs_XRtXA
http://www.fleischfressendepflanzen.de/ ... .ffp?id=16


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