Die Flora des Glockenbergzugs samt Kreuttal

Beispielsweise Lokalfloren, Taxonomie, Sippen- und Gebietsdiskussionen, Fachexkursionen
kurt nadler
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Re: Die Flora des Glockenbergzugs samt Kreuttal

Beitragvon kurt nadler » Donnerstag 12. Dezember 2024, 10:42

Warum eingebürgert und nicht indigen? Nachweis? Ist ja bereits historisch dokumentiert. Und ich gehe einmal davon aus, dass nie zuvor in der Region ein Botaniker so genau und konsequent floristisch gearbeitet hat wie ein Stefan Lefnaer.
Bedeutet "eingebürgert" menschliche Einbringung?
Gibt es in der "Statuslehre" in jüngerer Zeit vorgefundene Selbstetablierungen, die nicht den tendenziösen Ausdruck "Neophyt" umgehängt bekommen?

Da die Natur sich immer dynamisch wandelt, kann ich beim besten Willen bis dato nicht ganz verstehen, warum man zwischen Neophyten und anderen unterscheidet und solche Betrachtungsweisen in die Rote Liste-Erstellungen einfließen.

Wenn ich das noch kurz weiterspinne, stelle ich eine bedingt brauchbare Analogie zu Tofieldia calyculata im Böhmischen Massiv her: Ich kenne hier 1 Verbreitungsgebiet, im Atlas gibts noch wenige weitere. Ausgehend nur von "meinem": Wenn es hier nicht Nachweise gäbe, dass die Art lokal angesalbt worden ist, würde ich sagen, es liegt CR vor, weil Areal und Bestandsgrößen gering sind und zudem Habitatgefährdung vorliegt. Aus ähnlichen Erwägungen würde ich, solang nicht Ansalbung belegt ist, sagen, T. scorodonia weist im Pannon wenige Vorkommen auf, Population ist gering, damit Aussterbewahrscheinlichkeit erhöht; Habitat scheint aber intakt zu sein. Den Einstufungsfaktor Bestandsentwicklung wird man in beiden Fällen wohl nicht eruieren können. Also wahrscheinlich PA EN.

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Stefan Lefnaer
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Re: Die Flora des Glockenbergzugs samt Kreuttal

Beitragvon Stefan Lefnaer » Donnerstag 12. Dezember 2024, 11:33

Ein Taxon gilt dann als indigen (ureinheimisch), wenn es im Betrachtungsgebiet schon vor dem Neolithikum da war. Alles was danach kam ist synathrop (adventiv). Hier kann man nach der Einwanderungszeit Archäophyten (im Neolithikum eingewandert), Paläophyten (dazwischen eingewandert) und Neophyten (nach 1492 eingewandert) unterscheiden. Nach dem Etablierungsgrad können hier Neubürger (etabliert bzw. was ich mit eingebürgert gemeint habe) und Unbeständige (können keine dauerhaften Populationen aufbauen) unterschieden werden. Zudem kann man nach der Einwanderungsweise unterscheiden, d.h. ob aus Kultur verwildert, unabsichtlich eingeschleppt oder angesalbt usw.

Wo ein Taxon hingehört, ist klarerweise nicht immer eindeutig zu beantworten und eine Einschätzung. Laut RLÖ22 gilt Teucrium scorodonia in Niederösterreich als unbeständig ("u"). Ich würde die Art auf lokal eingebürgert ("le") hinaufstufen. Du bist anscheinend ein Popperianer und siehst alles als indigen an, sofern nicht das Gegenteil bewiesen wurde.

In Roten Listen werden Neophyten nicht bewertet. Dass es hier durchaus Grenzfälle gibt, wie Xanthium spinosum, das nach 1492 zu uns kam, sich als Dorfpflanze etablierte und dann durch Bodenversiegelung etc. wieder ausgerottet wurde, ist klar. Klar ist auch, dass sich die Natur im und nach dem Neolithikum auch gewandelt hätte, wenn der Mensch nicht dagewesen wäre. Dass man aber angesalbte Arten oder Kulturflüchtlinge bei der naturschutzfachlichen Bewertung nicht auf diesselbe Stufe wie Indigene oder Archäophyten stellen kann, erscheint mir schon naheliegend. Anderenfalls würde der Naturschutz völlig beliebig werden.

kurt nadler
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Re: Die Flora des Glockenbergzugs samt Kreuttal

Beitragvon kurt nadler » Donnerstag 12. Dezember 2024, 20:17

Danke für die Denkanregung.

Popperianer ist interessant. Philosophie ist allerdings nicht das Meine. Es wird oder wurde einem ja beigebracht, dass in der Naturwissenschaft was gilt, wenn es bewiesen wurde bzw. beweisbar ist. Wenn man ein bissl weiterdenkt, relativiert sich das, weil ich meine, dass kein Ergebnis Allgemeingültigkeitswert besitzt.
Wenn man im angewandten Naturschutzrecht (als Sachverständiger) zu tun hat, muss man scheinbar auch ein bissl Popperianer sein: Denn Juristen glauben einem auch hauptsächlich Fakten, weniger Einschätzungen; zumindest wird Schlüssigkeit der Ausführungen gewünscht.
Irgendwie find ichs immer wieder ein bissl auflockernd, wenn - wie in manchen Bereichen der Botanik mir das ab und zu unterkommt - in der strengen Naturwissenschaft manches doch nicht so eng gesehen wird.

Alles indigen - nein, so viel Popperianer bin ich wohl nicht.
In dem Strom, dass wir neue Einwanderer nicht gleich als Schutzgüter ansehen, schwimm ich traditionell auch mit. Es wäre aber sicher interessant, einmal zu reflektieren, wo man die Grenze zwischen schützenswerter Art und nicht schützenswerter zieht. Auch eine schräge G´schicht - eigentlich.
Beliebig wird der Naturschutz nicht, denn er folgt klaren, wenn auch im Lauf der Zeit wechselnden Konventionen, Übereinkünften von Leuten, die sich für Natur interessieren, deren Befindlichkeiten dann von der Politik übernommen und (als Gesetze und Regeln) abgesegnet werden.

Auch nach ein bissl neuerlichem Nachdenken würde ich meinen, dass Dein Teucrium entsprechend unsren aktuellen Denk- und Werthaltungskonventionen durchaus einen Rotlistentitel erhalten sollte, weils um einen interessanten Areal- und Ökologieaspekt geht und gleichzeitig um eine "heimische" Art - die nach geltenden Ansichten in der Branche! - als wertvoller gilt als eine fremde oder gar eine vom Menschen heimisch gemachte fremde. Dieser Ansatz muss nicht einmal als dumpfe Fremdenfeindlichkeit angesehen werden, man kann ihn auch als Solidarität mit schwachen Geschöpfen interpretieren. Also Rote Liste als "Humanismus" und nicht als unflexibler Konservativismus?

Man verzeihe mir die vorübergehende thematische Sprengung der Glockenbergflora.

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Stefan Lefnaer
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Re: Die Flora des Glockenbergzugs samt Kreuttal

Beitragvon Stefan Lefnaer » Donnerstag 10. Juli 2025, 07:22

Siehe hier, für die Flora der nassen Ackersutten am Mühlradsberg.


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